Von Heiner Lobenberg

200 Prozent Riesling: 2013 Joern Riesling »Arancia«

Lange habe ich versucht den 2013er Joern »Arancia« Riesling in eine bereits existierende Schublade zu stecken. »Riesling Großes Gewächs« – nein: Der Wein ist viel zu Lagen-/Gebietsuntypisch. »Deutscher Landwein« – um Gottes Willen: Das ist wohl die Schublade mit der geringsten Aussagekraft. »Riesling Orange Wine« – auch schlecht: Entspricht zwar seiner Herstellungsmethode, aber unterstreicht nicht die Qualität, die dieser Riesling zu zeigen vermag. »Riesling Naturwein« – ganz übel: Absolut verschrienes Genre, fehlinterpretiert und sowieso in der breiten Masse nicht verstanden. Was mache ich also mit diesem extremen Riesling? Ganz einfach: zeigen, erklären und erleben lassen. Was sollte man auch sonst mit einem Wein tun, welcher einem so unverfälscht auch die dunkle Seele seiner Rebsorte zeigt?

Jörn Goziewski war bis 2014/2015 bei dem Weingut Ankermühle im Rheingau beschäftigt. Darüber lernten wir uns auch kennen. Schon zu Ankermühles Zeiten zeigte Jörn sein besonderes Händchen für die Rebsorte Riesling. Egal ob maischevergoren, ausgebaut im Barrique oder durch exzessive Batonnage, seinen Drang zum Riesling Querdenker war nicht wegzudiskutieren. Im Zuge seiner Selbständigkeit sind bei ihm nun auch die letzten mentalen Fesseln genommen worden, das Thema Riesling einmal auf die Spitze zu treiben. Ohne Konventionen, Lagentypizitäten und Geisenheimer Leitfäden im Hinterkopf geht Jörn mit seinem Riesling »Arancia« soweit wie nur wenige vor ihm. Ich lehne mich sogar so weit aus dem Fenster und behaupte, der 2013 Jörn Riesling »Arancia« spiegelt so viel »Riesling« Seele wieder, wie bis dato noch kein Wein in meinem Erinnerungsvermögen dazu im Stande war. Hier regiert nicht der Boden, hier regiert die Traube – 200 % Riesling.

SCHWEFEL? HAT ER.

Ich höre schon die ersten Kritiker rufen. »Wo ist das Terroir?« »So schmeckt kein Riesling.« »Das geht zu weit.« In der Primärfrucht verseuchten und Fehlton freien »heilen« Riesling Welt eckt man mit solch einem Wein natürlich an. Sollte man auch. Denn Jörg verfolgt mit dem Arancia einen völlig anderen und extremeren Ansatz. Der Wein ist »orange« – sprich maischevergoren. Genauer gesagt hatte der Wein ganze sechs Monate Kontakt mit den Schalen und den Kerne. Mit dieser sogar für »Orange Weine« extremen Maischeverweildauer holt er aber genau das aus der Rebsorte, was ich mit 200 % Riesling meine. Arancia ist kein Herkunfts- oder Heimat Wein. Der Rüdesheimer Drachenstein, auf der Kopfseite des Rüdesheimer Berges gelegen, liefert zwar perfekte Bedingungen diesem Riesling die nötige Grundlage zu geben, findet aber geschmacklich nur bedingt Wiedererkennung. Diese extreme Art des Ausbaus bringt vielmehr die komplette Seele des Rieslings – in allen Fassetten – an das Tageslicht. Ach so, Schwefel gab es übrigens auch. Ein wenig zur Stabilisierung vor der Füllung. Unfiltriert versteht sich.

AROMEN? ALLE!

Doch nun endlich zum Wein. Ganze zwei Jahre verbrachte dieser auf der Vollhefe unter fast täglichem aufrühren (Batonnage) in Barrique Fässern aus Pfälzer Eiche. Das Resultat lässt auch geübte Sensorik Asse ins Schwitzen bringen. In den ersten 2 Minuten nach dem Öffnen notierte ich folgende Aromen-Vielfalt: Frisches ätherisches Sauna-Holz, Fichtennadelgeist, Orangenblüten, Orangenzesten, Kräuterhonig, Baumharz, feine Hefe Noten, Wermut, Waldmeister, Bienenwachs, Bratapfel und Zimt. Wenn das nicht komplex ist, werde ich Paketzusteller. Dabei verändert sich das Ganze im Minutentakt. Sensationell!

Im Mund schlägt dann der Riesling zu 200 % zu. Diese energetisches Zusammenspiel, geschuldet der Wahnsinns Kombination aus Gerbstoff und Säure, erinnert an den blauen Energieball aus Dragon Ball Z. So etwas kann einfach nur Riesling. Die Wiedererkennung der Rebsorte ist trotz des Mazerations-Marathons immer gegeben. Das Tannin Gerüst ist extrem fein, der Wein zwar glockenklar, absolut trocken, geradlinig und konsequent, hat trotzdem aber diese Lebendigkeit und Kraft, als ob auf der Zunge ein 24 Stunden Rave absolviert wird. Wer einmal erleben möchte, was Riesling neben der ganzen Bodentransporter-Nummer im Stande ist zu leisten, kommt um diesen Wein nicht herum. Jörn hat mit dem 2013er Arancia ein einzigartiges Riesling Meisterwerk geschaffen, welches ich in dieser Art noch nicht im Glas hatte. Riesling to the max. 200 % Riesling und 94–95 Punkte in meinem – in welchem Kontext das jetzt auch immer zu sehen ist.

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