Der deutsche Weinjahrgang 2021 in einem Wort: Unglaublich! Als ich mich im April in die deutschen Weinregionen aufmachte, hätte ich nie gedacht, dass mich die Weine aus diesem verrückten Jahrgang SO dermaßen flashen würden. Um einen verschmitzt lächelnden Helmut Dönnhoff zu zitieren: »Zu meiner Zeit wäre 2021 ein Jahrhundertjahrgang gewesen, aber wir haben das dann irgendwann mal aufgegeben mit den Jahrhundertjahrgängen in den letzten Jahren.« Dabei war das Jahr alles andere als einfach für die Winzer.
Ein unbändiger Wille zur Qualität, unermüdlicher Einsatz, Mut zur späten Lese, kompromisslose Selektion und Lage, Lage, Lage waren die Schlüssel zum Erfolg in diesem Jahrgang. Schnell sein lohnt sich 2021 zudem ganz besonders, denn das Drama ist (europaweit) die Menge. Bei vielen Betrieben ist 2021 eines der kleinsten Weinjahre überhaupt. Gerade für Deutschland wird der Run auf die Creme de la Creme recht bald größer sein als die Verfügbarkeit.
In der Rückschau kommt mir der Jahrgang 2021 ein bisschen vor wie die Saison von Werder Bremen: Unterkühlter Start, ein Drama in der Mitte und am Ende der kaum erwartbare Aufstieg wie Phönix aus der Asche. Denn am Ende ist 2021 bei den Besten ein vor Spannung berstendes Jahr. Mit guter, aber schlanker Reife, wie es archetypisch für unsere nördlichen Breitengrade ist. Vielleicht hier und da vergleichbar mit 2004, 2008 oder 2013 von den Analysewerten. Aber wenn 2021 uns eines lehrt, dann, dass man auf Analysewerte nicht allzu viel geben sollte. Die Wahrheit liegt im Glas – und die 2021er haben absolut alles, was man sich als Fan deutscher Weine wünschen kann.
Und abgesehen von hohem Alkohol, hat das Jahr 2021 auch wirklich alles mitgebracht. Der Jahrgangsverlauf mit allen Reglern nach rechts hat die Winzer maximal auf Trab gehalten. Frost, Hagel, Oidium, Peronospora, Kirschessigfliege, Sturzregen, Hochwasser, Flutwellen – keine Herausforderung blieb den Winzern erspart (mehr dazu unter Witterungsverlauf). Und dann wurden wir belohnt mit diesem berauschenden Jahrgang, der seine grandiosen Vorgänger am Ende vielleicht sogar übertrifft. Wie gesagt, unglaublich.
2021 ist Papillen-Tango
Geschmacklich ist der Jahrgang so wunderbar vibrationsstark, straff, saftig, lebhaft, salzig. 2021 zieht schon ganz ordentlich an allen Geschmacksknospen. Aber es ist eben nicht nur scharf und stramm, sondern bringt unglaublich viel Textur und Konzentration mit, dazu sooo viel aufregende Mineralität. Die vibrierend-frischen Säuren sind durch die hohen Extraktwerte wunderbar fein gepuffert. Die Weine haben Tiefe und sind so dicht gewoben, wie man es dem kühleren Jahr und den erfrischend niedrigen Alkoholgraden kaum zutraut. Nein, Riesling braucht wirklich keine 13%+ vol., um groß zu sein und auch keine niedrigen Säuren oder Restzucker, um geschmeidig und fein zu sein. Die Aromenprofile sind 2021 sehr klassisch europäisch, grüner Apfel und Birne sind jedenfalls häufiger als Mango und Passionsfrucht. Es gibt aromatische Indikatoren für die kühlere Reife, weißen Pfeffer, ätherisch-herbale Noten, Zitrusaromen. Meistens trägt das sensorisch toll zu diesem irren Frischetouch der Weine bei.
Kühlere Jahrgänge wie 2008 oder 2013 sind jung häufig mehr oder weniger kantig und zeigen keinen überschwänglichen Charme. Mit einer gewissen Reife sind es aber in Blindproben und Vertikalen so oft genau diese Jahrgänge, die vorne stehen und faszinieren. Jedoch würde ich 2021 einen ganz eigenen Charakter attestieren, der nicht wirklich leicht vergleichbar ist. Kühl ja, aber sehr eigen, weil auch so viel innere Dichte da ist. Die Säuren sind weniger grün als 2010 und es ist am Ende schon oft reifer als 2004 und 2008, mit dieser schlanken Kraft ist 2021 in der Form wohl ziemlich einzigartig.
2021 ist ein so spannendes, krachendes und zugleich brillantes Weißwein-Jahr, wie wir es lange nicht mehr hatten. Wer keine Angst vor berauschender Frische hat und sich gerne von hoher Spannung aus der Kurve tragen lässt, der wird mit 2021 seine größte Freude haben. Alle anderen sollten sich besser an die gar nicht so unähnlich gebauten, aber etwas freundlicheren 2020er halten.
Mosel-Saar-Ruwer
Während Mosel-Saar-Ruwer in den warmen Jahren zuletzt beflügelt waren, hatten im kühleren 2021 die Nahe, Rheinhessen und vor allem die Pfalz wohl doch wieder etwas mehr die wärmenden Hände im Rücken, was die großen trockenen Rieslinge angeht. Keineswegs aber ist die Mosel zu unterschätzen. Auch hier gibt es ganz famose Qualitäten, in trocken und noch mehr in süß. Hofgut Falkenstein im kühlen Konzer-Tälchen kann durchaus gut als Gradmesser für den Extremismus eines Jahrgangs herhalten. Selbst hier an der Eiger Nordwand des Rieslings gibt es aber ausreichend Reife zur wunderbar vibrierend-saftigen Frucht, stramm klar, aber nicht beißend. Super auch die Kollektion 2021 der Familie Zilliken, für mich die beste hier seit 2018. Von der Ruwer kommt mit dem 2020er Mathieu Kauffmanns erstes Karthäuserhof GG als eine Art Coteaux Champenoise vom Schiefer, fantastisch!
Obwohl er als Öko herbe Verluste hinnehmen musste, ist Clemens Busch erneut eine der vielversprechendsten GG-Kollektionen der Mosel gelungen, der Fahrlay Terrassen 2021 ist ganz weit vorne in Deutschland, leider nur in winzigsten Mengen verfügbar. Daneben kam auch von den Steillagen-Handwerkern bei Carl Loewen eine herausragende trockene Leistung, mit dem atemberaubenden Mineralhammer Ritsch GG 2021 als mein Highlight. Oliver Haag von Fritz Haag setzt mit seinem heute etwas trockeneren, von Jahr zu Jahr noch präziseren Weinstil weiterhin Maßstäbe am Brauneberger Hang. Sein Juffer-Sonnenuhr GG 2021 ist wieder stellar an der Mosel – und da haben wir von seiner Extraklasse in Süßwein dieses Jahr noch nicht mal gesprochen.
Das famose an den Süßweinen von 2021 ist, dass die Restsüße von den klirrenden Säurestrukturen und hohen Mineralität zumeist einfach in die Bedeutungslosigkeit gebeamt wird. Wenn bei Spätlesen mit 70 Gramm von »dienender« Restsüße gesprochen werden kann, weiß man, was los ist: es kracht! Der Meister am Erdener Hang Christian Hermann hat dem schwierigen Jahrgang mit seinem Zocker-Gen gleich 3 TBAs abgerungen, wohl ziemlich einzigartig an der Mosel. Die eigentlichen Sieger sind aber die vibrierenden Spätlesen und Kabinette, die dank Moselmineralität explosionsartig saftig, kühl und lebhaft sind – nicht der Hauch von Schwere oder Klebrigkeit. Spätestens Egon Müller zementiert mit einer Wahnsinnskollektion dann den Anspruch des Jahrgangs vielleicht sogar mal legendär zu werden. Schon mit dem Kabinett gibt es hier einen Kickstarter, der Seinesgleichen sucht. Die Mineralik und Salzigkeit feuern auf allen Zylindern, für Saar-Freaks ein Traum, alle anderen sollten erstmal 10 Jahre in Deckung gehen.
Nahe
Obwohl sie als geographischer und klimatischer Grenzgänger zwischen dem kühleren Moseltal und den etwas wärmegepolsterten Rheinhessen und Pfälzern steht, finde ich die Nahe in 2021 ebenso traumhaft wie die letzteren beiden. Straff und herbsaftig, beizeiten sogar ungewohnt wild, salzig und griffig hat mich Dönnhoff selten so vom Stuhl gerissen wie 2021. Schon den Tonschiefer finde ich unerhört gut. Das Dellchen 2021 ist ein hoch spannender, wilder Stoff, die Hermannshöhle 2021 ein Monument. Für mich noch größer als das fast perfektionistische 2020. Emrich-Schönlebers raumgreifend texturiertes, geheimnisvoll dunkelmineralisches Halenberg GG kann im eigenen Haus nur noch vom dieses Jahr extraterrestrischen Auf der Ley 2021 getoppt werden. Wie der Vater, so der Sohn, verkürzt das kleinere Pendant Halgans 2021 mit seiner superben Klasse die Wartezeit auf die GGs.
Rheinhessen
In Rheinhessen gab es im Norden Carsten Saalwächters brandneuen, bombastischen Weißburgunder Hoher Fels 2020 – er kann es auch mit dieser Sorte! 2021 war zu wenig sonnig am Rhein? Man hört die Winzer an der Rheinfront leise lachen… nein, aus 2021 kommen sogar irre gute Weine vom Roten Hang: von HO Spaniers unerhört tiefem Pettenthal bis hin zum urwüchsigen Kracher Rothenberg vom Traditionshaus Gunderloch. Eines der besten GGs aus 2020 wuchs ja auch hier, und kommt ebenfalls erst dieses Jahr: das überirdische Pettenthal GG vom »schmutzigen Kai« Schätzel, der seinen Stil jedes Jahr mit extrem viel Feinsinn weiterentwickelt.
Und was für dramatisch geniale Rieslinge dann bei Wittmann in 2021 – das hat mich nochmal mehr geflasht als letztes Jahr. Man ist gar geneigt Vergleiche zu KPK zu ziehen, die hier aber gar nicht nötig sind, weil Philipp einfach anders ist im Stil. Aber diese absolut verführerische Textur, Dichte ohne Schwere, das ist schon ein Spiel, was nur die Top-Top-Liga der Rheinhessen so beherrscht, das ist keine Handvoll Winzer. Ein Brunnenhäuschen 2021 wie von einem anderen Stern. Und Phillipp selbst sieht in seinem 2021er Morstein »alles, was ich im Morstein 2002 – meinem absoluten Lieblingsjahr – gesehen habe.«
Pfalz
In der Pfalz heißt es zunächst erneut Chapeau für Nicola Libellis Leistung auf Château Bürklin-Wolf. Ein kleiner Italiener mit großem pfälzischem Herz, das nur noch von seinem Ehrgeiz übertroffen wird. Der 2021er Pechstein ist ein Vulkanausbruch im Glas, selten habe ich so etwas im Mund gehabt. Und ist das Kirchenstück wirklich, wirklich, wirklich noch feiner als im Vorjahr? Man glaubt es nicht. 2020 war schon die wahrscheinlich beste trockene GG-Kollektion, 2021 schließt an und überholt vielleicht noch. Bürklin ist an Feinschliff und Dramatik schwer zu überbieten. Und das geht schon bei den Ortsweinen los. Auch wenn ich mich hiermit aus Jahrgang 2019 wiederhole: Wenn Leflaive und Lafon Riesling keltern würden, es schmeckte wohl wie Bürklin-Wolf.
Mit ähnlichem Schliff und jetzt noch konsequenterem Fokus beamt sich Familie Christmann mit Abschaffung der Gutsweine weiter in Richtung Edel-Boutique-Weingut. Nur noch Crus, so geht Highend ohne Kompromisse! Der Idig 2021 ist nach erstem Eindruck, wie letztes Jahr, ein 100-Punkte-Kandidat. Durch seine gewaltige Struktur mag er aber etwas mehr Zeit benötigen als der so elegant-geschliffene 2020er. Ich will gar nicht mutmaßen, welcher in 10 Jahren die Nase vorne hat. Apropos Idig, da ist seit diesem Jahr auch Von Winning unterwegs. Deren Idig GG kommt mundfüllend an und ist doch ein Athlet in seiner Ausrichtung. Was für eine grandiose Ergänzung in Stephan Attmanns Portfolio, weil er so total anders ist in seinem Auftreten und doch diesen Turbolader des von Winning’schen Ausbaus grandios aufnimmt und weiterträgt. Ein superber Einstand im ohnehin so spannenden Jahr 2021. Doppelt gut!
Franken
Ein Betrieb, der sich seit Jahren still und leise, ganz unaufgeregt, aber mit Nachdruck in der Spitze Deutschlands etabliert, ist der Zehnthof Luckert. Leider nun im zweiten Jahr in Folge von dramatisch kleinen Erträgen gebeutelt, in 20 war es Frost, in 21 war es Peronospora. Was übrig blieb ist dieses wie letztes Jahr absolute Weltklasse. Vielleicht ein wenig wie die Weine von P.J. Kühn in dieser Ruhe und Eleganz, so anders als in Franken üblich. Bei aller Größe auch immer köstlich geschmeidig. Mir gefällt der Silvaner 2021 sogar noch besser als der Riesling aus dem Maustal, was im direkten Vergleich eher selten vorkommt. Dass die weißen Burgundersorten von Fürst unter Sebastian Fürst raketenmäßig zugelegt haben, sollte mittlerweile kein Geheimnis mehr sein. Aber auch der Riesling aus dem Centgrafenberg war lange nicht mehr so spannend wie 2021, klarer geht Riesling kaum noch. Ein Betrieb, den nichts erschüttert, der immer liefert, der jedem Jahrgang das Beste abringt. Eine eigene Liga. Bei Fürst gibt es keine Überraschungen, und das ist auch gut so.
Bei Rudolf May gab es dafür gleich zwei: eine Prickelnde in Form eines superben, stahligen, aber hochkarätigen Silvaner Brut Nature und eine Burgundische, denn May darf sich nach einer Umveredelung alter Reben im Benediktusberg über einige der ältesten Chardonnay-Stöcke Deutschlands freuen. Der Wein ist schon im ersten Jahr großartig, denn den Holzausbau beherrscht May ja wie kein Zweiter in Franken. Auch Horst Sauer brilliert mit spannenden 2021er Silvanern mit ganz klarem Cool Climate-Ausdruck, kräutrig, herbsaftig, würzig, pfeffrig und griffig, ein bisschen wild. Fern jeder Üppigkeit oder Exotik. Ganz klassisch im Angang, man wird an die großen deutschen Weine vergangener Zeiten erinnert, toll!
Rheingau
Wenn wir schon bei PJ Kühn sind – einem weiteren Überflieger der letzten Jahre – mit der beinahe elsässischen Entspanntheit der Weine: Für Kühns geht es neben den 2019er Unikaten ja um 2020 dieses Jahr und da war der Witterungsverlauf und auch der Erntezeitpunkt ganz ähnlich zu 2018. Familie Kühn hatte für mich die beste trockene 2018er Kollektion auf die Flasche gebracht. Ein extrem harmonischer, in sich ruhender Jahrgang ist auch 2020. Kristalline Klarheit mit kühler Eleganz und toller Spannung. Kraft und Tiefe ohne Wucht. Schlicht überirdisch der 2019er Schlehdorn, himmlisch und für diese Kategorie einfach über den Wolken schwebend auch der Hochlagen-Ortswein Hallgarten Reserve 2020.
Ebenfalls aus 2020 dieses Jahr ist Weils Monte Vacano ja DIE Erfolgsgeschichte des Rheingaus – wer hätte diesem Traditionshaus so einen Hammer-Release zugetraut, der direkt durch die Decke geht wie die rarsten Unikate der Welt. Daneben soll der 2021er Gräfenberg gar nicht geschmälert werden, denn ich denke nicht, dass Wilhelm Weil in den letzten Jahren einen spannenderen Gräfenberg gemacht hat. Diese Wildheit und Vibration des Jahrgangs stehen ihm ausgesprochen gut. Traumhaft auch die Auslese aus dem Gräfenberg. Wenn die Präzision von Weil auf diesen perfekten Süßweinjahrgang trifft, dann ist man nahe der Perfektion.
Wie Kühn ist Theresa Breuer mit den Lagen bei 2020. Der Nonnenberg hat 2020 zusätzlich zu seiner stahligen, kristallinen Mineralität und Klarheit auch eine fast pfälzisch anmutende Saftigkeit, die ich in dem warmen Jahrgang so nicht vermutet hätte. Der Trinkfluss ist fantastisch! Für mich sogar einen Hauch vor dem Schlossberg im ersten Eindruck. Das stets als Late Release erscheinende Spitzengewächs aus der Rhein-Steillage Roseneck erscheint nun aus 2018, auf 2015 folgend. Von diesem gelbfleischigen Charme wird man direkt mitgerissen, dann kommt salziges Schieferterroir pur, ich liebe das. Breuer, Kühn, Weil – mit dieser Riesling-Topriege an der Spitze macht der Rheingau richtig Freude.
Der Höhepunkt drei trocken-heißer Jahre, die dennoch ihre klaren Unterschiede hatten. Vom Witterungs- und Vegetationsverlauf war 2020 sicher etwas näher an 2018 als am leicht kühleren 2019. Der größte Unterschied zum Jahr der Höllenhitze 2018, das ja auch ein berauschend gutes Spätburgunder-Jahr war, ist die geringere Wasserverfügbarkeit. In 2018 haben die Reben voll durchgepowert, in 2020 ging es nach drei (zu) trockenen Jahren viel karger zu. Und so waren die Trauben: kleine, knubbelige Beerchen mit dicker Schale und Mega-Intensität.
Die Roten 2020er sind weniger schwarzfruchtig-drückend als viele 2018er, etwas kirschiger, verspielter, floraler, etwas eleganter und filigraner gebaut, dabei aromatisch aber meist ähnlich reich und einnehmend. Der mediterrane Charme hat mich hier und da an hoch feine Hochlagen-Grenache erinnert, ganz grandios. Die köstlich üppigen Duftwolken, die die 20er Spätburgunder versprühen sind schon großartiges Nasenkino. Die Tannine sind reichlichst vorhanden, aber bei den Besten so fein und geschmeidig, dass der Gaumen in Samt und Seide gehüllt wird. Viele Winzer haben die Rappenanteile eher geringer gehalten, weil der Jahrgang von sich so irre viel Struktur mitbringt. Wer gerne elegante Nebbiolo trinkt, der wird bei den deutschen 2020ern auf seine Kosten kommen.
2020 ist aber nicht nur ein berauschend-intensives, sondern auch teils überraschendes Jahr für Spätburgunder. Lange hat mich Heger nicht mehr so mitgerissen. Ebenso reich und hedonistisch wie in 2018, ist aber etwas strahlender, kristalliner und frischer im Kern, auch seit Rebecca Heger im Betrieb ist und etwas zarter vinifiziert. Was für ein Genussfaktor, Heger 2020 ist eine Wucht! Julian Huber setzt hingegen seinen Weg zu mehr Köstlichkeit und Charme mit viel Feingefühl fort. Die Zeiten ultrafrüher Lese sind vorbei. Er ist angekommener, burgundischer im Sinne von druckvoller, ja auch süßer und etwas reifer im Kontext seines noch immer frischen Stils. Da spielt ihm 2020 natürlich in die Hände.
Der Bienenberg 2020 ist ein kühles Wunderwerk voller Finesse, für mich noch besser als 2019. Der Wildenstein 2020 ist ein Chambertin aus Baden, aber nicht zum Anbeten, sondern zum Dahinschmelzen. Wir sehen dieselbe Entwicklung bei Friedrich Keller: weniger Extremismus und etwas mehr charmante Reife, aber so unendlich geschliffen. Wow, was für ein schickes Jahr für Kellers Kirchberg GG. Letztes Jahr habe ich den Eichberg präferiert habe, nun ist dieser Blockbuster-Kirchberg einfach unschlagbar gut mit seiner kühlen Finesse und kirschigen Saftigkeit. Fürst schafft in 2020 wie selbstverständlich, was deutscher Spätburgunder noch immer nur selten schafft: Großer Hedonismus, einnehmende Köstlichkeit, ohne laut zu sein. Schmeckt jung fantastisch und wird wohl unglaublich gut reifen – die Vertikale 2018 bis 2020 in einigen Jahren nebeneinander zu haben, dürfte atemberaubend werden.
Mit den letzten Jahrgängen im Hinterkopf antizipierten die Winzer wie gewohnt einen eher trocken-warmen Witterungsverlauf. Doch 2021 machte recht schnell klar: nicht mit mir. Austrieb und Blüte waren bereits von ungewöhnlich nordisch-rauem Wetter begleitet und im Vergleich zu den Vorjahren »relativ spät« – im langjährigen Mittel also quasi normal. Bis auf den stets ungeduldig früh rausschießenden Chardonnay in einigen Ecken Badens und Württembergs, blieben die meisten Regionen von Frostschäden verschont. Die harsche Witterung sorgte jedoch nahezu überall für Ertragseinbußen durch die windige, verregnete und dadurch unregelmäßige Blütephase.
Der darauffolgende Sommer brachte zunächst keineswegs die Wende, sondern ließ in Dauerschleife »…and when the rain begins to fall...« anklingen. Dramatisch konzentrierte Sommerniederschläge setzten der vorherigen Trilogie der heiß-trockenen Jahre ein jähes Ende und machten den Pflanzenschutz 2021 zu einer Sisyphusarbeit. Vor allem (aber bei Weitem nicht nur) die Öko-Weingüter, deren Spritzmittel weitgehend Kontaktmittel sind – d.h. sie müssen nach jedem stärkeren Regenfall erneut ausgebracht werden – kamen sich in Juni, Juli und August wohl vor wie Asterix auf der Suche nach dem blauen Passierschein A38 im »Haus das verrückt macht«. Nur rennen, rennen, rennen…
Die Topwinzer haben 2021 Marathondistanzen in den Weinbergen abgeleistet. Durch den zusätzlich hohen Personaleinsatz ist es in der Produktion für viele eines der teuersten Jahre aller Zeiten. Eine eindrückliche Erinnerung daran, wie vergleichsweise einfach die Jahre 2018 bis 2020 waren. Ein Glück, dass der Riesling als adaptierte Nord-Rebe stoisch in Wind und Wetter steht wie ein Islandpferd. Denn im Grunde wurde im Herbst immer klarer: Wenn man im Sommer richtig Gas gegeben hat, konnte das noch ein unglaublich starker Jahrgang werden – und so kam es dann auch. Zudem, auch wenn es im Moment des Pflanzenschutz-Wahnsinns kaum jemand laut aussprechen wollte, war der Regen nach drei viel zu trockenen Jahren eigentlich ja mehr als willkommen. Wobei Andreas Schumann vom Neu-VDP‘ler Odinstal verblüfft feststellte, dass auch 2021 nicht wirklich »nasser« war als ein herkömmliches Jahr im Mittel. Der Regen kam nur viel konzentrierter in der Vegetationsperiode, anstatt auf die Herbst- und Wintermonate verteilt.
In 2018 oder 2020 war die Hauptlese im September teils schon vorbei, da war in 2021 kaum ans Anfangen zu denken. Die nicht selten dem (gezwungenermaßen) Frühlesen fronende aktuelle Generation kam bei den Mostgewichten zu diesem Zeitpunkt an den Rand des nervlichen Exodus – wohingegen es für die älteren Winzer bis in die 1990er meist ganz normal war, dass die Lese auf den November zugeht. Früher galt: wer am längsten wartete, wurde meist belohnt. 2021 ist dahingehend also ein bisschen back to the future.
Nach diesem echten Cool-Climate-Sommer, der bis Ende August anhielt, retteten der September und ein Goldener Oktober den Weinjahrgang dann fast im Alleingang. Ein stabiles Hoch über Mittel- und Osteuropa sorgt für dieses seit Jahrhunderten bekannte Phänomen. Die Sonnenscheindauer ist gegen Oktober mit noch immer über 10 Stunden sehr hoch, dafür ist die Tag-Nacht-Amplitude schon viel ausgeprägter als noch im August. Da die Nächte länger werden, kann die Luft in Bodennähe stärker auskühlen. Das sorgt für eine langsame Ausreifung bei langer Hangzeit am Stock und trotzdem stabil bleibenden Säuren. Gerade der Riesling liebt das besonders. So läuft er als Nordrebe zu echter Hochform auf und kann in kaleidoskopartiger Komplexität erstrahlen – das hat in den Vorjahren häufig gefehlt.
Der Herbst macht den Wein, so ein altes Winzersprichwort – in diesem Jahr mal wieder wirklich zutreffend. Während in den meisten Anbaugebieten die Hauptlese im Oktober stattfand, zog sie sich in den nördlicheren, etwa an der Ruwer, auch mal bis Mitte November. Auch das ist an sich nichts Ungewöhnliches, nur im heutigen Kontext ungewohnt. Frank John hat in seinem ersten Jahr als Betriebsleiter bei v. Buhl Mitte der 1990er auch mal bis in den Januar Trauben ernten lassen – und zwar nicht für Eiswein! Heute unvorstellbar…
Der Kauf eines Weines in Subskription ist im Grunde ein Warentermingeschäft: Sie bestellen heute z. B. den Jahrgang 2021 und bekommen diesen im Herbst 2024 ausgeliefert. In der Regel kommen gerade die raren Weine zwei Jahre später deutlich über dem Subskriptionspreis auf den Markt. Wenn Sie sich für Wein begeistern und die Entwicklungen in Frankreich, Spanien und Deutschland verfolgen, haben Sie als informierter Konsument so oft einen großen Preisvorteil – zumal Sie gerade rare Weine aus Bordeaux häufig nicht mehr bekommen, wenn diese abgefüllt auf den Markt gelangen.
Ergänzende Hinweise
Die Zahlung der Subskriptionsrechnung ist, ergänzend zu unseren AGB, unmittelbar und ohne Abzug fällig. Die Auslieferung erfolgt i. d. R. im Herbst des dritten Jahres auf den Weinjahrgang.
Die Abgabe aller Subskriptionsweine in 0,75l-Flaschen erfolgt i. d. R in 12er-Original-Holzkisten. Selten ist die 0,75-Liter-Flasche auch in 6er-Original-Holzkisten als Packgröße möglich. In vielen Fällen sind Bordeaux-Weine auch als Magnum (1,5l), seltener auch als Doppelmagnum (3,0l) oder sogar Imperial (6,0l) erhältlich.
Alle erhältlichen Größen finden Sie immer direkt in unserem Shop. Wenn es einen Wein in abweichenden Formaten und Größen gibt, finden Sie auch immer unter dem Artikel mit dem Dropdown-Button »Andere Jahrgänge und Größen« die Möglichkeit das entsprechende Format auszuwählen: