Von Susanne Werth-Rosarius

Weinirrtümer Teil 1

In Anlehnung an den bekannten Einsteinschen Spruch, dass nichts schwerer zu zerstören sei als ein Vorurteil, stellen wir fest, dass das auch für alle möglichen so genannten Weinweisheiten und -irrtümer gilt: Nichts hält sich hartnäckiger in den Köpfen der Menschen als überkommene Empfehlungen, fragwürdige Regeln oder urban legends. Wir fangen an, mit diesen Irrtümern aufzuräumen.

Kapitel 1

Da wäre als erstes die Sache mit der...

1. Zimmertemperatur

Rotwein, sagt man, solle bei Zimmertemperatur getrunken werden, Weißwein und Schaumwein gekühlt. Nun stammt diese Regel aus einer Zeit, in der die Zimmertemperatur außer vielleicht in ummittelbarer Nähe der Heizquelle kaum jemals über 18 °C hinaus ging, wenn sie diesen Wert überhaupt erreichte. Und die Menschen dementsprechend viele Lagen Kleidung übereinander trugen.

Heutzutage findet man die 18 °C nur noch in amerikanischen Großraumbüros, ansonsten beträgt die durchschnittliche Zimmertemperatur ca. 22 °C und das ist für so ziemlich jeden Wein zu warm. Bei 20 °C hört der Spaß allerspätestens auf.

Außerdem gilt hier wie überall: es kommt drauf an! Und natürlich soll das jeder bitte handhaben, wie er mag. Wer um die 1.000 € für eine Flasche Pétrus bezahlt hat, hat damit auch jedes Recht erworben, sie mit Coca Cola zu versetzen (ich kann das kaum schreiben, ohne Ganzkörperherpes zu bekommen, aber wenn’s doch wahr ist), daraus Glühwein zu machen (mein Blutdruck steigt ins Unermessliche) oder den Wein auf dem Sims über dem lodernden Kaminfeuer bei >25 °C zu chambrieren (man reiche mir mein Riechfläschchen).

Empfehlen tu ich aber, junge, leichte Rotweine bei etwa 16 °C zu trinken, ältere, schwere, sehr komplexe bei 17–19 °C. Leichte, umkomplizierte Weiß- und Schaumweine bei 12–14 °C, dichte, gereifte bei ca. 16 °C. Es ist besser, einen Wein eher um ein oder zwei Grad zu kühl zu servieren, denn warm werden die Weine im Glas von alleine. Im Zweifel kann man beide Hände kurz wärmend um das Glas legen. Wird ein Wein zu warm serviert, werden zarte Aromen von dichteren überlagert, der Wein wirkt breit und bräsig.

2. Dekantieren

Der größte Teil, ich würde ihn bei 90 Pozent ansetzen, aller Weine muss nicht dekantiert (zurückhalten von unerwünschtem Bodensatz »Depot«) oder karrafiert (gelüftet) werden, der kann gleich getrunken werden! Prost!

3. Wein wird mit den Jahren immer besser

Dieser Irrtum schließt sich gleich an die Dekantiervermutung an und Unmengen von Kellerleichen verdanken ihm ihre Existenz. Nur die wenigsten Weine können über längere Zeit gelagert werden und reifen in der Flasche noch nach. Als Faustregel können Sie sich merken: Weine, die nicht dekantiert werden müssen, eignen sich in der Regel auch nicht zur Lagerung.

Die allermeisten Rosés (hier wage ich eine 99 % Vermutung) sollten im Jahr ihrer Auslieferung das Weihnachtsfest nicht mehr erleben. Die meisten anderen Weine sollten innerhalb von zwei oder drei Jahren ausgetrunken sein.

Nur die ganz großen, komplexen, sehr gerbstoffreichen Weine sind zur Lagerung bestimmt und gewinnen mit der Zeit an Reife und Geschmack, als da wären die Ersten/Großen Gewächse, Bordeaux, Burgunder, Barolos, Riojas, Priorats oder die fetten Übersee-Blends.

Warum aber sind manche Weine, die über 100 Jahre alt sind (Stichwort: Kometenjahrgang) immer noch mit Genuss trinkbar? Nun, früher wurde die Maische viel länger stehen gelassen,  als das heute der Fall ist, und die Weine lagen oft jahrelang im Holzfass, bevor sie gefüllt wurden. Deswegen waren sie wesentlich gerbstoffreicher. Die Tannine (Gerbstoffe) und die Säure sind es, die für die Langlebigkeit der Weine verantwortlich sind. Manchmal glaube ich in diesem Zusammenhang aber auch, dass man sich diese Weine »schön trinkt«.

Heutzutage sind die Herstellungszyklen mehr oder weniger standardisiert, schließlich sollen die Weine im Folgejahr oder spätestens zwei Jahre nach der Ernte auf den Markt gebracht werden, weil ihr Erlös die Kosten für den aktuellen Jahrgang einspielen muss. Nur noch selten werden längere Lager- oder Reifezeiten im Weingut angesetzt, wie z. B. im Rioja, wo die Gran Reservas mindestens 24 Monate im Eichenfass und dann noch 36 Monate in der Flasche reifen müssen, bevor der Wein ausgeliefert werden darf.

Solche Weine kann man getrost 10–15 Jahre im Keller vergessen, bevor man sie probiert.

Die umgekehrte und auch verbreitete Annahme, Weißwein müsse immer schnell weg getrunken werden, stimmt ebenso wenig. Große Weißweine, vor allem Süßweine haben ein hervorragendes Alterungspotenzial. Zucker konserviert mindestens so gut wie Tannin und Säure.

4. Zu Käse trinkt man Rotwein

Nein! Bitte setzen Sie sich aufrecht hin und sagen Sie 10mal laut und deutlich: Kein Rotwein zum Käse! Kein Rotwein zum Käse!

Leider ist diese Unsitte fast noch schwerer auszurotten als die Mär von der Zimmertemperatur. Und leider werden immer noch wunderbar zusammengestellte Käseplatten mit den besten Erzeugnissen der Affineurskunst durch die Vermählung mit hervorragenden Rotweinen systematisch verdorben und auch andersherum wird kein Schuh draus. Käse und Rotwein das ist wie Pétrus mit Cola. O. k., o. k., Sie haben natürlich (siehe oben) mit dem Kauf von Käse und Rotwein jedes Recht erworben, mit den Sachen zu machen, wo Ihnen der Sinn nach steht. Aber es sollte doch um den Genuss und die perfekte Verbindung von Wein und Lebensmittel gehen. Und das ist bei Käse nun mal nicht der Rotwein.

Machen Sie die Probe aufs Exempel und essen Sie zunächst einmal einen Bissen Käse. Was passiert im Mund? Käse besteht zur Hauptsache aus Fett und dieses Fett legt sich auf die Rezeptoren in Mund und Gaumen und lässt nur sehr wenige andere Aromen überhaupt noch durch. Wenn Sie danach einen Schluck eines dichten, komplexen Rotweins trinken, haben von den Inhaltsstoffen des Weines nur die Säure und vielleicht noch ein wenig die Gerbstoffe eine reelle Chance diesen Fettpanzer zu durchdringen. Der Wein schmeckt spitz, metallisch, manchmal sehr dünn und sonst nach nix. Einzig sehr alte und salzige Hartkäse können mit Rotwein, d. h. sie lassen ein wenig mehr Aromen durch. Wirklich lecker (ja, ja, ich weiß, in Weinconnaisseurskreisen darf man nicht »lecker« sagen) schmeckt es allerdings in den seltensten Fällen.

Aber, werden Sie jetzt einwenden: In den besten Restaurants serviert man Käse und Rotwein. Und ist nicht bekannt, dass selbst Napoléon Bonaparte die Kombination von Epoisses und Chambertin liebte? Nun, den großen Korsen haben wir schnell abgehandelt, der war für vieles bekannt und berühmt, aber nicht dafür, dass er Essen und Trinken große Bedeutung zumaß.

Die Sache mit den Restaurants ist schon eine andere. Erstens ist es die normative Kraft des Faktischen. Der Kunde will es und das Restaurant serviert es. Es reicht, wenn der Sommelier schon wegen der Weinauswahl rumdiskutieren muss (inzwischen leisten aber die meisten Kollegen auch in der Käsefrage vorbildliche Aufklärungsarbeit). Und zweitens war es früher in der französischen Hochküche üblich, bei einem Menü die Qualität der Weine von Gang zu Gang und von weiß nach rot zu steigern. Und weil der Käse nach dem Hauptgericht serviert wurde (die Unsitte, Käse nach dem Dessert zu servieren, ist eine rein deutsche) bekam er den besten Rotwein mit. Zum Dessert gab es dann Champagner. (Man sieht, nicht alles, was die französische Küche vorschrieb, war richtig und gut).

Ein Allrounder zum Käse, wenn es denn einen gibt, schließlich gibt es so viele verschiedene Käsesorten wie Fingerabdrücke in einer Kriminaldatenkartei, wäre ein dichter Süßwein. Der Zuckergehalt ist hoch genug, um aromatisch noch wahrgenommen zu werden. Auch verfügt er über ausreichend Säure, die den Fettpanzer ein wenig aufbricht und so den anderen Aromen zur Geltung verhilft. Das Salz im Käse und die Süße im Wein können eine harmonische Verbindung miteinander eingehen.

Ansonsten können zu fettem Weichkäse auch trockene, nicht zu trockene, so ein klein wenig Restzucker ist nicht verkehrt, Weißweine mit ordentlichem Säurespiel serviert werden. Auch dichte Barrique ausgebaute Weißweine oder Bukettsorten passen gut. Zu Hartkäsen passt immer noch besser als der erwähnte Rotwein ein dichter gereifter Weißwein oder auch ein Sherry. Zum Blauschimmelkäse ist ein Süßwein Muss. Das haben sogar die doch so gerne (und zu Unrecht) als Gourmetbanausen verschrienen Engländer begriffen, die ihren Stilton seit jeher mit Port servieren.

Da gerade in Frankreich dort wo Käse gemacht wird, oft auch Wein erzeugt wird, gibt es sehr viele regionale Kombinationen, die sehr gut miteinander harmonieren, erinnern Sie sich noch an den Savignin, den Comté und den Vacherin?

Zum Schluss noch ein Tipp, wenn Sie eine Käseplatte zusammenstellen und einen Wein dazu aussuchen: Wählen Sie nicht zu unterschiedliche Käse, umso schwerer wird eine optimale Weinbegleitung. Wählen Sie lieber zB eine Auswahl unterschiedlicher Ziegenkäsesorten, verschiedene Käse aus einem Gebiet oder eine Auswahl von Hartkäsen.

Das Thema »Essen und Wein« ist auch sonst ein, wie der alte Briest sagte »weites Feld« und führt zum nächsten Weinirrtum.

5. Rotwein zu Fleisch, Weißwein zu Fisch

Nun ja, in den meisten Fällen kommt man damit irgendwie durch. Allerdings sind es weniger Fleisch oder Fisch, die die Weinauswahl steuern sollten. Der Wein sollte auf die Hauptaromen einer Speise abgestimmt sein und die finden sich meistens in der Sauce. Außerdem kommt es auch auf die Art der Zubereitung einer Speise an, ob gebraten, gegrillt, pochiert etc.

Natürlich kommt jetzt wieder einer, der uns weismachen will, dass man essen und trinken sollte, was einem schmeckt, und es keinerlei Regeln und Vorschriften gäbe und erlaubt sei, was gefalle. Natürlich; es ist ja auch nicht verboten, im Designermäntelchen Mädelsfußballspiele zu pfeifen.

So ein Laissez-faire bei Essen und Wein ergibt am Ende so reizende Kombinationen wie Dornfelder zum Heringssalat oder Amarone zur Buttercremetorte.

Als Faustregel gilt: kräftiges Essen kann auch einen kräftigen Wein vertragen, zu leichten Speisen leichte Weine. Ob die jeweiligen Weine dann rot oder weiß sind, ist von nachrangiger Bedeutung. Insofern kann ein gegrillter Fisch wegen der starken Röstaromen durchaus einen leichten Rotwein vertragen, z. B. einen Spätburgunder, und ein Kalbstafelspitz einen schmelzigen Weißwein, z. B. einen Chardonnay. Ist das Essen aromatisch sehr komplex (besitzt also eine Vielzahl unterschiedlicher Aromen und Texturen), so wähle man lieber einen einfacheren Wein. Umgekehrt passt ein sehr komplexer Wein am besten zu eher monoaromatischen Speisen. Bestes Beispiel hier ist der Bordeaux zum gegrillten Steak.

Fettes Essen kombiniert man am besten mit Weinen, die einen etwas höheren Säureanteil haben (ganz ähnlich wie die Sache mit dem Käse), so kann eine trockene Rieslingauslese genauso gut zum Gänsebraten passen wir ein Pinot Noir aus dem Burgund.

Süße Aromen im Essen harmonieren gut mit süßen Weinen, eine bekannte und beliebte Kombination ist die foie gras mit einem Sauternes oder die gebratene Leber mit einem halbtrockenen Riesling.

Auch beim Wein gilt, dass regionaltypische Gerichte oft sehr gut mit den lokalen Weinen harmonieren, auch über die beliebten schwäbischen Linsen, Spätzle und Saitenwürschtle mit dem Trollinger hinaus. Spaghetti mit Ragù und Chianti, Wiener Schnitzel und Grüner Veltliner oder eine Daube à la Provençale und ein Bandol sind köstliche Kombinationen.

Zu asiatischen Gerichten mit süß-scharfen oder sauer-scharfen Aromen passen halbtrockene etwas schmelzige Weißweine sehr gut.

Die Weine, die man beim Kochen an ein Gericht gibt, passen sowieso immer auch als Begleitweine. Natürlich käme niemand auf die Idee, einen 1994er Harlan Estate Cabernet Sauvignon an den Braten zu kippen, nur weil er eine Flasche dieses Kultweines zum Essen genießen will. Oder vielleicht doch, Cola-in-den-Pétrus-Gießer kommen vielleicht auf solche Ideen. Aber ein Wein mit den gleichen Rebsorten und aus der gleichen Gegend darf die Sauce abrunden, das Flagship kommt ins Glas.

Und wenn gar nichts passen will, dann probieren Sie mal einen Champagner oder Winzersekt, Schaumweine werden fast mit allem fertig.

Und probieren Sie mutig neue Kombinationen aus. Vielleicht passt der Dornfelder ja doch zum Heringssalat.
 

Susanne Werth-Rosarius (✝ 2016)

Susanne Werth-Rosarius (✝ 2016)

Susanne liebte Weine und schrieb auch gerne darüber. Ihren Stil bezeichnete sie selbst als »Weinempfehlungen abseits der bekannten Verkostungslyrik«. Wenn man ihr einen Gefallen tun wollte, dann mit einer Flasche »Château Figeac«.

Neuste Beiträge

Winzernews 2023

Winzernews 2023

Wie passt dieser Jahrgang 2023 qualitativ in die Zeit und in den Markt? Das ist der Versuch einer ersten provisorischen Einordnung nach...

Burgund 2021 und 2022

Burgund 2021 und 2022

Je häufiger ich das Burgund in den letzten Jahren bereise, desto mehr reift in mir die Gewissheit, dass die Region an einem historischen...

Wein-Schlaraffeninsel Sizilien

Wein-Schlaraffeninsel Sizilien

Durch den enormen Drive hin zu mehr Qualität hat sich Sizilien in diesem Jahrhundert zu einer der spannendsten Weinregionen Italiens...