Die »nordischen« Spätburgunder
Wie jedes Jahr begann meine Reise bei den Spätburgunder-Spezialisten an der Ahr – und somit bei einem Thema, das die internationale Weinwelt gerade mit am meisten umtreibt: German Burgunder, allen voran Pinot Noir. Im Burgund sind die Preise explodiert und teils wieder implodiert, doch da waren die findigsten globalen Pinot-Aficionados schon lange auf der Spur toller Alternativen. Und sie fanden und finden sie immer häufiger in Deutschland. Wenn Autos nicht mehr unser Exportschlager Nummer Eins sind, muss es wohl bald der Spätburgunder richten. Die kühle, mineralgetriebene Saftigkeit und pikante Frische deutscher Spätburgunder begeistert die Welt. Neben der Schweiz und bei ein paar Blaufränkisch-Abtrünnigen in Österreich findet man das derart ja auch nirgendwo sonst. Spezieller in der Krautwürze, direkter in der Attacke, filigraner, asketischer und straffer in der Textur – vor allem vom Schiefer, denn das ist wirklich unique!
Da kommen große Jahre wie 2022 und 2023 genau richtig, denn nie wurden in der Breite so gute Spätburgunder in Deutschland geerntet wie heute. Das Jahr 2023 war nicht so mediterran wie der Blockbuster 2022. Entsprechend ist es weniger beeindruckend strukturiert als das Vorjahr, weil es einen Ticken kühler und filigraner daherkommt – nicht unähnlich zu 2016 oder 2013. Das ist für uns Pinot-Aficionados ja alles andere als ein Schaden.
Aus den Schiefer-Regionen herausragend war für mich dieses Jahr der Spätburgunder aus dem Pfarrwingert 2023 von Meyer-Näkel, der ein steiniges Biest ist, kühl, straff, aber so unerhört elegant dabei – mega! Die terroirmäßige Hinleitung und quasi ein »Baby-Pfarrwingert« ist der ganz neue Dernauer Hardtberg 1G. Seit 2023 ist die Ahr nun auch vierstufig im VDP von Gutswein bis GG. Daher wird auch für Näkels Klassiker Spätburgunder S 2022 der letzte Jahrgang sein. Bei Stodden nebenan erwartet mich die verträumte Finesse. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen feineren und seidigeren Herrenberg als 2023 in der Jugend probiert zu haben. Mal eben Volnay nach Rech verlegt. Auch an der Mosel setzen immer mehr Top-Betriebe auf Pinots, neben Altmeister Molitor setzt Süßwein-König Christian Hermann mit seinen Rotweinen ganz neue Impulse. Ich liebe solche Pinots, die mehr auf reduktive Spannung gehen und weg von dieser überreifen, oxidativen Moselnummer, die hier sonst so viele fahren. Sein Kinheimer Rosenberg R aus 2022 ist verblüffend gut, groß sogar.
Ein wahrer Magier des Spätburgunders und eine Ikone des Rheingaus ist Peter Perabo vom Bischöflichen Weingut Rüdesheim. Noch immer unter dem Radar, obwohl in Sachen Spätburgunder seit über dreißig Jahren nichts an ihm vorbeigeht in Rüdesheim und Assmannshausen. Früher das Mastermind hinter der Krone Assmannshausen, leitet er seit 2007 die Geschicke in Rüdesheim. Kaum einer kennt die Terroirs besser, der Höllenberg ist sein Wohnzimmer. Obs am Weingut liegt, dass er so häufig übersehen wird?! Sei's drum. Für etwas über 20 Euro gibt es jedenfalls wenig bessere Schiefer-Pinot Noirs auf dem Planeten als seinen 2022 Assmannshäuser – oder sogar: gar keinen. Selbst sein Höllenberg hat in einem heißen Jahr wie 2022 analytisch nur etwas über 12.5% vol. Alkohol, aber eine derartige Tiefe und unterschwellige Kraft, dass man mit den Ohren schlackert. Peter Perabo scherzt gerne, dass sein gesamtes Rotwein-Equipment günstiger ist als ein neuer Fermenter in einigen berühmten Rheingauer Weingütern. Alles handmade, da ist Weinbau noch ein Handwerk, minimalster Technikeinsatz und maximales Ergebnis. Peter Perabo ist eben alte Schule und einer der genialsten Rotweinwinzer Deutschlands – mit Jahrgang 2022 hat er sich nach 2020 ein weiteres Denkmal gesetzt.
Großes Kabinett-Kino an Mosel, Saar und Ruwer
An Mosel, Saar und Ruwer galt mit dem Frühjahrsfrost die Faustregel: je weiter flussaufwärts desto schlimmer getroffen. Kaum an der Terrassenmosel, ein wenig an der Mittelmosel und dramatisch an Saar und Ruwer. Und dennoch… so viel Weltklasse im restsüßen Bereich – einfach wow! Vor allem im Kabinett und bis zur Auslese zeigen die Süßweine eine kristallklare Leichtigkeit und berauschende Finesse, die 2021 und 2019 mehr als Konkurrenz macht. Höhere Prädikate waren kaum zu erreichen und wurden nur in mikroskopischen Mengen erzeugt, wie etwa bei Christian Hermann oder Egon Müller, der seit langem mal wieder eine Beerenauslese ernten konnte. Bisher gab es sie am Scharzhof nur 2005, 2015 und 2024 in diesem Jahrtausend. Beerenauslesen werden immer schwerer zu erreichen, weil die Jahre entweder zu schwach auf der Brust sind und gar nicht rankommen oder es dann eben schnell zur TBA hochschießt, weil die Herbste viel intensiver warm sind. Wie der Eiswein »leidet« die BA unter dem Klimawandel, was sie immer seltener macht. Egon Müller war auf rund 90 Prozent seiner Fläche vom Frost getroffen und hat am Ende nur 7000 Liter Wein im gesamten Betrieb ernten können. Was übrig blieb, ist spektakulär, aber teils so brachial, dass man die Augen zusammenkneift. Mancher mag ein bisschen masochistisch veranlagt sein und sich solch einen kühlen Riesling-Purismus in der Jugend gönnen, für alle anderen ist das ein Jahr für den Keller, auf das sich aufgrund der winzigen Mengen nur wenige glückliche Sammler werden stürzen können. Karger, herb-steiniger Purismus vom Feinsten.
Auch auf Château Grünhaus hat der Frost in 2024 mit am meisten reingehauen, die Ernteverluste belaufen sich dort auf rund 90 Prozent. Die Fuder des Abtsberg und Bruderberg haben Maximin im Keller final nicht überzeugt, als eigenständige GGs zu erscheinen, daher wurden sie in den Grünhäuser 1G abgestuft. Das Herrenberg GG allerdings hat es durch die strenge hauseigene Selektion geschafft und präsentiert sich nun als seltener Solist an der Spitze des trockenen Programms. Es ist ein einziges Fuder. Das geniale Kabinett stammt ebenfalls aus dem Herrenberg dieses Jahr. Der 2024er Jahrgang ist eine Zeitreise zurück in die Glanzzeiten des Ruwer-Rieslings in seiner kühlen, filigranen und hocheleganten Art.
An der Mittelmosel beginnt dann die wohl eindrucksvollste Restsüße-Parade der letzten Jahre. Anders als Saar und Ruwer hatte die Mittelmosel eine relativ gute Ernte und die Reben standen voll im Saft. Christian Hermann legt mit zwei Mal absolute Weltklasse aus dem Erdener Treppchen vor: das Kabinett Alte Reben, immerhin 110 Jahre, ist wie am Elektrozaun lecken, ein Ausbund an Schiefer-Spannung. Für unter 20 Euro… unfassbar! Umgehauen hat mich auch die Auslese von denselben Reben. Komplett am Stock herangereift, blitzsauber und glockenklar, keine Botrytis und nichts. Daraus entsteht ein höchst filigraner und präziser Auslese-Stil, der in seiner Frische und Lebhaftigkeit fast an eine Spätlese erinnert, aber eben schon mehr Feinheit und zugleich Druck hat. Der perfekte Spagat aus Trinkfreude und absoluter Feinheit. Eine Auslese wie von einem anderen Stern. Seit Anfang des Jahres 2025 ist Dr. Hermann auch VDP-Mitglied, ein wohlverdienter, überfälliger Schritt.
Sein Buddy Constantin Richter von Max Ferd Richter hat ähnlich scharfe Geschosse im Keller, die Säurewerte sind nahezu durchweg zweistellig bei den Kabinetten. Analytisch extrem, aber ein ums andere Mal habe ich mich gefragt, wie die Weine zugleich so seidig und zart daherkommen können. Muss man probiert haben, um es zu glauben. Die Säure ist genau on point, die Frucht schwebend. Quellwasser! Das hat schon Kraft aus dem Extrakt, wie eine Turboversion von 2008. Das ist noch traditionelles Winzerhandwerk, das man wirklich schmecken kann. 2024 ist ein Jahrgang, bei dem alle Kabinett-Fans auf die Knie gehen werden bei Richter.
Extraterrestrisch ist auch Steinmetz’ Geierslay Kabinett in 2024. Die Geierslay hat sehr viel Quartz im Schiefer, dadurch schmeckt die Säure immer prägnanter als sie eigentlich ist, da geht schon gut die Post ab in dieser Lage in 2024. Alte Reben, weit oben in einem Seitental gelegen. Ein purpurfarbener Schieferboden mit hohem Eisenanteil und sehr deutlichen Quarziteinschüben, auch riesige Quartzfelsen in der Größe eines Hauses sitzen in diesem Teil des Hangs. Die Weinberge wurden wie etwa im Enkircher Batterieberg in den Felsen gesprengt, entsprechend wurde der Quartz fein pulverisiert. Das ist mit dem Treppchen zusammen immer das stärkste Kabi bei Steinmetz. 2024 ist wirklich das Jahr der Jahre im Kabinett, es ist noch feiner und straffer als 2023. Das ist schon Wahnsinn, wie viel Drive dieser Wein hat. Stefan Steinmetz ist ein grandioser, oft unterschätzter Wein-Handwerker.
Der perfekte Spagat aus Trinkfreude und absoluter Feinheit. Eine Auslese wie von einem anderen Stern.
Ebenfalls eines der für mich größten »Talente« und unbändigsten Arbeiter im Weinberg ist Moritz Hofmann, der Daniel Vollenweiders Betrieb nach dessen Tod weiterführt. Neben den grandiosen trockenen 2023ern (Schimbock!) gibt es dieses Jahr eine Palette Kabinette, die es in sich hat: Burgberg und dreimal aus der Goldgrube, darunter auch die Parzelle »Auf der Heide«. Ein langersehnter Traum von Inhaber Moritz Hoffmann, der sie schon immer separat ausbauen wollte. Ein ganz anderes Terroir als im Rest der Goldgrube. Uralte, wurzelechte Reben im südwestlichen Teil der Lage, sehr hoch gelegen und dementsprechend kühl, dafür aber wärmer exponiert als der Rest der Lage. Hochlage, die Vegetation ist hier meist etwa eine Woche später als im wärmsten Teil der Goldgrube, also ist die Lage wie prädestiniert für Kabinette, was sich auch im Säurewert von über 10 Gramm pro Liter bemerkbar macht. Es gibt nur ein einziges 500 Liter-Fass. Wir haben in 2024 einen ähnlichen Charakter wie 2021 oder 2008, aber mit einem gewissen Plus an Charme und Schmelz. Moritz sagt, es erinnere ihn an 2016 mit etwas mehr Säurefrische, das passt auch. Aus den nur wenige Hektar umfassenden Ultra-Steillagen um Traben-Trarbach und Wolf kommen in den letzten Jahren einige der faszinierendsten Weine der Mosel, ich schrieb bereits letztes Jahr darüber.
Neues an der Nahe und in der Nähe
Neben unseren gesetzten Big Five haben wir mit Jahrgang 2023 das Weingut Tesch aus Langenlonsheim ins Programm genommen, um diese bei uns noch weitgehend unerschlossene Ecke abzudecken. Martin Tesch und sein Sohn Johannes – der unter anderem bei Loosen und Egon Müller gelernt hat und zunehmend das Ruder des Riesling-Boutique-Weingutes übernimmt – haben sich in den letzten Jahren zu einer festen Größe unter den Underdogs an der Nahe entwickelt. Teschs Stil ist kein schmusiger Rieslingstil, sondern stets stahlig und klirrend klar, trocken und mineral. Der St. Remigiusberg wird oft als Spitze bei Tesch gesehen. Die Winzer selbst sehen das nicht in jedem Jahr so, aber meistens ist es schon der aufregendste Wein. Auch in 2024 ist das die Lage, die mich am meisten packt. Ein in 2024 fast wilder Riesling von der Nahe, der eine feine Kühle in sich trägt.
Nur rund eine Viertel Stunde entfernt liegt mit Wagner-Stempel eine weitere Neuaufnahme, die – genau wie Tesch – an diesem Schnittpunkt zwischen Nahe und Rheinhessen liegt… nur im Fall von Wagner dann schon auf letzterer Seite. Daniel Wagner ist der Meister des Vulkans. Eingebettet in eine wunderschöne Heidelandschaft zwischen Hügeln, alten Bachläufen und Steinbrüchen ähnelt sein vulkanisches Terroir (Porphyr) eher dem der Nahe als dem Kalksteinfels Rheinhessens. Auch geschmacklich prallen hier die Welten der kargen, steinigen Nahe und der warm-würzen, texturierten Kalkstein-Art Rheinhessens aufeinander – wie eine Fusion aus Schönleber, Fröhlich und Wittmann. Durch die Frühjahrsfröste des Jahres 2024 hat Daniel Wagner rund 50 Prozent seiner Riesling-Ernte verloren. Sein Scharlachberg, den er aus einem Tausch mit Bischels hat, ist der dichtere, wuchtigere Wein neben der Heerkretz, die diesen ungeheuerlich dunklen Kern in 2024 hat, den auch schon Tim Fröhlichs Weine gezeigt haben dieses Jahr. Ich mag diesen dunkelsteinigen Purismus, das ist dann eben schon eher was für Freaks. 2024 verbindet Leichtigkeit mit Konzentration, wie zuletzt 2017.
Die Berglagen sind back!
Nach einigen ultra-trockenen Jahren wie 2018, 2020, 2022 ist mit 2023 und 2024 DIE Zeit der Berglagen am Rhein wieder gekommen. Etwas weniger der Kiedricher Berg, aber speziell der Rüdesheimer Berg im Rheingau, sowie der Rote Hang im Norden Rheinhessens haben mit den Dürrejahren zu kämpfen gehabt. Die Winzer haben all ihre weinbauliche Expertise in den Ring werfen müssen, um eine Katastrophe abzuwenden – teils haarscharf. Doch der Ausgleich folgte postwendend, justitia naturalis, denn 2023 und 2024 gab es atemberaubende Weine von genau diesen Hängen. Pettenthal, Rothenberg, Gräfenberg, Schlossberg, you name it… alle haben sie geliefert – und wie! Schon die dortigen Ortsweine aus Ersten Lagen wie der Niersteiner von Wittmann oder jener von Kühling sind wegweisend für diese Kategorie, Bodengeschmack, Salz, Grip, da fehlt nichts. Echte Premier Crus.
Riesling-Grandseigneur Wilhelm Weil hat mit 2023 einen Benchmark-Jahrgang abgeliefert, durch die ganze Kollektion ein unerschütterlicher Fels in der Riesling-Brandung. Gräfenberg 2024 vs. 2023 wird ein spannendes Duell in 20 Jahren sein. So viel Punch der 2024er vorne auch hat, je länger er hinten raus läuft, desto feiner, filigraner und salziger wird er. Das ist der Zauber dieses Jahrgangs 2024, er ist extraktreich, schmelzig und filigran zugleich, sodass er nicht unwesentlich an große trockene Rheingauer der 1990er Jahre erinnert. Ich sehe den Gräfenberg 2024 aktuell fast auf Augenhöhe mit 2023 und es würde mich nicht wundern, wenn der 2024er in 20 Jahren sogar frischer dastehen würde. Und für die Süßmäulchen unter uns: die Gräfenberg Spätlese 2024 ist himmlisch!
Nebenan bei Familie Kühn gibt es gute und schlechte Nachrichten. Die schlechte zuerst: die Unikate – also Schlehdorn und Landgeflecht – werden eingestellt seitens des Weingutes. 2021 waren also die letzten Jahrgänge dieser beiden Weine, danach ist erstmal Schluss. Die gute Nachricht ist, es gibt dafür auch spannende Weine, deren Namen jedem Rheingau-Fan auf der Zunge zergehen: Rauenthaler Baiken 1G, Rüdesheim Berg Roseneck GG und erstmals auch ein GG aus dem mighty Berg Schlossberg, der ü-b-e-r-ragend geworden ist in 2023. Was für ein Debüt!
Kühlings Pettenthal 2024 könnte quasi Carolins und HOs Signature-Wein sein, weil er so fruchtbefreit und steinig ist. Aber, und das muss auch gesagt sein, es hat Extrakt und Dichte. Diese 2024er sind aromatisch karge Weine, aber keineswegs strukturell karge Weine. Da ist schon Druck dahinter. Eine unglaubliche Dramaturgie spielt sich da am Gaumen ab, vibriert, spannt, alle Papillen werden gegen den Strich gebürstet. 2024 war für Nierstein und speziell den Roten Hang so ein Mega-Jahr. Nicht zu heiß und genug Wasser im Boden, das liebt dieser warm exponierte, trockene Hang sehr. Er dankt es uns – aus den richtigen Händen – mit Riesling-Weltklasse. Und das wird – entre nous – von Battenfelds mindblowing Frauenberg GG 2024 aus dem Wonnegau sogar noch getoppt. Irre.
Ein Jahr im Zeichen des Regens – und der Geduld: Wasser als Segen, aber auch als Prüfung
Der Süden Deutschlands – allen voran die Pfalz und Baden – erlebte 2024 ein Weinjahr, das geprägt war von anhaltender Nässe und gemäßigten Temperaturen. Bereits der Winter und das Frühjahr waren von intensiven Niederschlägen begleitet. Die Folge: eine ausgezeichnete Grundfeuchte in den Böden, die nach Jahren mit zunehmender Trockenheit geradezu ersehnt wurde. In der Pfalz präsentierte sich das Landschaftsbild entsprechend: üppig grün, erholt, vital. Die Reben standen im Saft, das vegetative Wachstum verlief balanciert – ein stabiles Fundament für den Jahrgang. Wie Müller-Catoir feststellte, herrschte eine »tolle Grundfeuchte aus dem Winter«, die eine Balance im Wachstum ermöglichte. Auch Knipser bemerkte: »Ein so grünes Jahr wie schon ewig nicht mehr!«, die Wälder hätten sich wunderbar erholt gezeigt.
Doch mit dem Regen kamen auch die Herausforderungen: Die intensive Feuchtigkeit machte den Winzern mit Blick auf Pflanzenschutz das Leben schwer. Die verwendeten, meist oberflächlich wirkenden und sanften, biologisch verträglichen Mittel wurden durch die ständigen Niederschläge stark beansprucht und oft schnell abgewaschen. Die Fenster für den Einsatz waren klein, oft nur wenige Stunden – und das nicht selten nachts oder an Feiertagen. Bei Odinstal etwa musste extrem viel Pflanzenschutz betrieben werden – und dennoch spricht man dort von einem Jahr, das, vergleichbar mit 2016, fruchtoffene, feine Weine hervorgebracht habe. Auch Sophie Christmann zieht Parallelen zu 2016. Es war sehr viel Handarbeit im Weinberg notwendig, hinzu kam eine höhere Fäulnisbelastung. Die Folge: intensive Selektion und konsequente Handlese. Monika Schmid, Geschäftsführerin bei Von Buhl, spricht gar von einer »Selektion von der Selektion von der Selektion« – mit dem jedoch erfreulichen Resultat: »fast perfekte Trauben im Keller.«
Ein weiteres Charakteristikum des Jahres: Obwohl es überdurchschnittlich viel regnete, blieb in vielen Lagen die für trockene Weine unerwünschte Botrytis aus. Keinerlei Botrytis in den trockenen Weinen von Müller-Catoir, ebenso wenig bei Von Winning, wo Stephan Attmann von »komplett gesundem Lesegut« berichtet, selbst in einem Jahr, in dem vielerorts die Pflanzenschutzintervalle durch ständige Regenphasen massiv unter Druck standen.
Kurios: Gleichzeitig blieben die Temperaturen warm, auch nachts. 2024 war vielerorts das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen – nicht durch Hitzespitzen, sondern durch konstante milde Temperaturen, die den Säureabbau verlangsamten und die Reife streckten. Das Ergebnis: Trauben mit feiner Säure, mittlerem Zuckergehalt und einer aromatischen Entwicklung, die an kühle Spitzenjahrgänge erinnert.
Kühle Brillanz: Der Vegetationsverlauf und die Lese unter wechselhaften Bedingungen
Kühlere Nächte und ein insgesamt milder Witterungsverlauf führten zu einem langsamen Austrieb und verzögerten damit die gesamte Vegetationsperiode. Nicola Libelli von Bürklin-Wolf spricht von einem sehr langsamen Frühling und einer entsprechend langen Vegetationsperiode – vergleichbar mit 2019 oder 2021. Auch Rebholz und Wehrheim berichten von einem verregneten Sommer, der jedoch zum Herbst hin in eine warme, trockene Phase überging – mit enormen Qualitäten insbesondere bei den Burgundersorten. Die Spätburgunderlese begann in der Südpfalz bereits Anfang September und brachte trotz niedriger Mostgewichte tiefgründige, saftige Weine mit moderater Säure.
Bei Rings wiederum stand die kühle Brillanz im Vordergrund. Andi Rings zeigt sich sichtlich erfreut, beschreibt 2024 insofern als einzigartig, da die Säurestruktur so eine Klarheit hat und perfekt integriert wirkt, überhaupt nicht neben den Weinen steht. Auch bei Christmann dominieren sehr aromatische, feine, saftige Weine mit wenig Alkohol das Bild – ein klassisches Jahr, das an 2016 erinnert.
Im Gegensatz zu den dramatischen Frostschäden an der Mosel oder Nahe, blieben die Weinberge in der Pfalz weitestgehend verschont. Bei Von Winning waren beispielsweise gerade einmal 0,5 von 50 Hektar Rebfläche betroffen. Gelesen wurde erst Anfang bis Mitte Oktober. Essenziell, wie Betriebsleiter Stephan Attmann betont: »Das Geheimnis war es, nicht nervös zu werden, bis die Trauben wirklich reif waren«. Ein dramatisch fruchtiger Sauvignon-Jahrgang, in dem sich Sortencharakter und Reife perfekt getroffen haben – aromatisch expressiv, dabei glasklar und kühl in der Stilistik.
Auch in Baden überzeugt der Jahrgang mit Frische und Finesse. Alex Laibles Weinberge blieben vom Frost verschont, und seine Weine zeigen einen klaren, feinen Zug und eine für seinen Stil so typische, sehr offenherzige Frucht. Holger Koch berichtet von einer etwas unterdurchschnittlichen Ernte – verursacht durch Verrieselung nach kühlen Nächten Ende Mai und etwas Graupel im April – dennoch zeigen sich die Weine sehr schön. In einem Jahr mit weniger Sonne als üblich bringt gerade die Leichtigkeit große Trinkfreude – ohne Substanzverlust. Man kann hier 2024 mit den elegantesten Jahren des vergangenen Jahrzehnts vergleichen – leicht, frisch, aber alles andere als dünn. Das Holz bleibt dosiert, gibt Struktur und Entwicklungspotenzial, ohne Dominanz. Der Jahrgang erlaubt Tiefe – aber denkt in Linien und weniger in Volumen.
Die Lese 2024 war insgesamt geprägt von hoher Präzision und ausgeprägter Heterogenität: hochsommerliche Tage wechselten sich mit kühlen, nassen Phasen ab. Bei Christmann reichten die Bedingungen »von kurzen Hosen bis Nieselregen bei unter 10 Grad«. Diese Wechselhaftigkeit erforderte präzises Timing und ein tiefes Verständnis des Reifegrads in jeder einzelnen Parzelle. Um es mit Sophie Christmanns Worten auszudrücken, war ein »engmaschiges Monitoring unabdingbar, um punktgenau lesen zu können«. Bei durchweg allen Spitzenweingütern wurde selektiv in mehreren Durchgängen geerntet – mit bis zu drei Lesedurchgängen pro Parzelle. Die Handlese war dabei alternativlos. Nur so konnten die oft knappen Mengen an gesunden, optimal reifen Trauben separiert und verarbeitet werden. In der Spitze ermöglichte die Geduld außergewöhnliche Traubenqualität, wie sie nur selten unter solchen Bedingungen erzielt wird. Das Ergebnis sind Weine mit hoher aromatischer Tiefe, eleganter Struktur und – je nach Sorte – bemerkenswerter Lagerfähigkeit. Auch Philipp Kuhn berichtet von brillanten Trauben, die Weine ohne jegliche kitschige Frucht, sondern klare, terroirgeprägte Bodentöne zeigen, ergänzt durch saftige Steinobstfrüchte und moderate Säure.
Stilistik und Jahrgangspräzision: Ausdruck, Frische und Struktur – Charakterstarke Sortenausprägung
Die stilistische Bandbreite des Jahrgangs 2024 ist groß – doch ein verbindendes Element zieht sich durch die gesamte südliche Region: eine eindrucksvolle Frische, die sich nicht über Säurehärte, sondern über Vitalität und Energie ausdrückt. Die Weine des Jahrgangs 2024 zeichnen sich durch eine angenehme, lebendige Säure mit schönen Fruchtintensität und moderatem Alkoholgehalt aus.
Riesling
Die Rieslinge zeigen 2024 eine unheimlich geschliffene, klassische, teils wirklich erhabene Stilistik: Kühl, klar, kräutrig, mit brillanter, aber eben nicht dominanter Säure. Die Aromatik oszilliert zwischen Steinobst, Zitrus und Kräutern, unterlegt von einer salzigen Mineralität. Bei Karsten Peter zeigt sich der Jahrgang mit unheimlicher Frische und Präzision. Von Winning spricht von einem „fast klassischen Riesling-Jahrgang, mit der Exotik und Saftigkeit eines 2019ers, kombiniert mit Frische und Dramatik von 2010 oder 2008. Auch bei Kuhn überzeugt der Riesling mit klarer Herkunft. Die Rieslinge von Müller-Catoir zeigen knackige, aber eingebundene Säure, sind sehr klar und langlebig. Die besten Rieslinge wurden unter schwierigen Bedingungen selektiv geerntet – häufig spät, unter Verzicht auf Edelfäule. Die Mengen sind oft gering, die Qualität überzeugend. Bürklin Wolfs in sich schlüssige und extrem starke Kollektion beweist: Ein Jahrgang für Puristen.
Burgundersorten
Die Burgundersorten zählen klar zu den Gewinnern des Jahrgangs. Spätburgunder, Chardonnay und Weißburgunder brillieren durch Tiefgang und Klarheit. Sie zeigen sich mit fein gezeichneter Frucht, lebendiger, aber reifer Säure und moderatem Alkohol. Die Weine wirken kühl, strukturiert, ausdrucksstark. Sophie Christmann berichtet von einem tollen Ausblick auf ihre Spätburgunder aus der Mittelhaardt. Besonders die auf burgundischer Genetik basierenden Weine präsentieren sich mit dunkler Farbe, dichter Textur und seidigen Tanninen. Bei Knipser zeigen sich die Gutsweine sehr filigran, mit tollen Säuren – trotz moderatem Alkohol ein erstaunlich guter Körper. In der Südpfalz bei Rebholz und Dr. Wehrheim könnte man sogar von einem »Best-Ever-Jahr«, insbesondere für die Weißburgunder sprechen. Was hier final an Qualität im Glas landet ist einfach nur beeindruckend. Die Konzentration tatsächlich enorm, die Erträge gering. Terrorigetriebene Weißburgunder, die sicher viele Chablisfreunde aufhorchen lassen werden. Der Jahrgang 2024 reiht sich hier in die Riege großer Burgunderjahre ein – mit einem eigenständigen, fokussierten Stil. Pfälzer Chardonnay zeigte eine lange Reifephase bis tief in den Oktober hinein. Das führte zu Weinen mit reifer, aber präziser Frucht, stabiler Säure und guter phenolischer Struktur. Häufig teilweise im Holz ausgebaut, offenbaren sie schon jetzt großes Potenzial – oft mit weniger Alkohol als im Vorjahr, aber dafür mehr Zug und Frische.
Rückblick auf den Jahrgang 2023 in Baden: Eine Herausforderung mit verblüffendem Ausgang
Für die 2023er in Baden, die nun auf den Markt kommen, zeigt sich ein anderes, ebenfalls forderndes Bild. Familie Heger beschreibt 2023 als extrem kompliziert. Nach vielversprechendem Sommer kam Ende August starker Regen, den der Boden kaum richtig halten konnte. Dann folgte extreme Hitze – viele Trauben platzten auf, Selektion war zwingend. Was am Ende dabei rum kam, war quantitativ entsprechend gering, durch die sehr penible Selektion aber qualitativ auf einem wirklich hohen Niveau. Auch Huber berichtet von einem Jahrgang 2023, der stark an der Substanz zehrte. Nach einem warmen und konstanten Sommer mit tollen Niederschlägen und ohne Frost, gab es zum Herbst hin nochmal sehr viel Regen. Die leichte Herausforderung war die geschmackliche Reife: Laut Mostgewicht waren die Trauben zwar reif, aber es dauerte, bis die physiologische Reife erreicht wurde. Deshalb wurde lange gewartet, deutlich später gelesen als sonst, nach dem Regen nochmal 10 Tage etwa abgewartet. Auch hier das Ergebnis: ein sehr saftiger und eleganter Jahrgang mit etwas mehr Trinkfluss und sicher früher zugänglich als der konzentrierte 22er.
Fazit: Brillanz in der Kühle – ein Jahr für Finesse
2024 war ein Jahr, das Winzer zu Geduld, Selektion und klarem Fokus auf Qualität zwang. Die Weine zeigen sich – trotz teils widriger Bedingungen – mit außergewöhnlicher Frische, klarer Struktur und viel Herkunft. Burgunder profitieren von konzentrierter Aromatik und moderatem Alkohol. Die Rieslinge bestechen durch Präzision, Frische und Balance. Es ist ein Jahrgang der Finesse, der wie so oft beweist: Große Weine können auch bei herausfordernden Umständen entstehen – durch Erfahrung, Sorgfalt, Teamarbeit. Und die Bereitschaft, auf den perfekten Moment zu warten. Die Erntemengen lagen bei vielen Weingütern ca. 30% unter dem langjährigem Durchschnitt. Im Keller versöhnt der Wein den Jahresverlauf mit viel Animation und Trinkfreude. Die Trauben zeichnen sich durch hohe Extraktwerte, eine feine Aromatik und eine frische Säure aus. Kein Jahr für Show – aber eines für Charakter. Und vielleicht genau deshalb auch ein großer Jahrgang – die besten Weine beweisen das eindrücklich.