Lobenberg: Die Hangneigung der Hermannshöhle ist 60 Prozent. Der Bodentyp: Tonschiefer mit Kalksteinelementen, Rebalter von 60 bis 80 Jahren. Teilweise 1949 gepflanzt. Seit Jahren, ja seit Jahrzehnten, einer der Primus Inter Pares bei den deutschen GGs. Kalkstein und Schiefer ist eine extrem seltene Kombination, vor allem in diesem schroffen Wechsel. Es kommt 2021 typisch kühl und zunächst eher schlank und feinziseliert. Die Herrmannshöhle hat oft kaum Mehltaudruck durch die Beschaffenheit der Lage. Es ist leicht angelehnt an die feinkristalline Art des Dellchens, aber in Summe ist es dann der komplettere, ruhigere und versammeltere Wein. Erhaben, ruhig, ultrafein im Charakter. Aber das schafft er eigentlich immer, auch in einem etwas schlankeren Jahr als die Vorjahre. Unglaublich kristallin. Es hat zwar die typische Ruhe der Hermannshöhle, aber dennoch zeigt sie dieses Jahr auch einen wilderen Touch, eine gewisse Nervigkeit und einen Biss, der das Faszinierende an diesem Jahr ist und den ich berauschend gut finde. Es ist ein Spannungsfeld aus toller Balance auf der einen Seite und straffer, hochintensiver, säuregeprägter Art, das 2021 völlig einzigartig macht. Für mich ein hochspannendes Jahr. Tolle salzig angeraute Textur, immense Konzentration aus einem an sich eher schlanken, kühlen Körperbau. Die Säure wummert wie ein unterschwelliger Bass, bespielt alle Papillen. Es zieht über die Zunge wie ein Laser, um dann in feinem weißem und gelbem Pfirsich mit Grapefruit und Mandarine dahinzugleiten. Diese Kombination aus Wildheit, trocken-mineralischem Biss, Straffheit und Festigkeit haben selten so vibrierend, aufregend und zugleich so stimmig ineinandergegriffen. Am Ende muss man dieses irre Gesamtpaket erstmal auf sich wirken lassen. 100/100
Mit den letzten Jahrgängen im Hinterkopf antizipierten die Winzer wie gewohnt einen eher trocken-warmen Witterungsverlauf. Doch 2021 machte recht schnell klar: nicht mit mir! Austrieb und Blüte waren bereits von ungewöhnlich nordisch-rauem Wetter begleitet und im Vergleich zu den Vorjahren »relativ spät« – im langjährigen Mittel also quasi normal. Die meisten deutschen Weinberge blieben von Frost verschont. Die recht harsche Witterung sorgte jedoch nahezu überall für Ertragseinbußen durch die windige, verregnete und dadurch unregelmäßige Blütephase. Der darauffolgende Sommer brachte zunächst keineswegs die Wende. Dramatisch konzentrierte Sommerniederschläge setzten der vorherigen Trilogie der heiß-trockenen Jahre ein jähes Ende und machten den Pflanzenschutz 2021 zu einer Sisyphusarbeit. Die Topwinzer haben 2021 Marathondistanzen in den Weinbergen abgeleistet, um der Situation Herr zu werden. Durch den zusätzlich hohen Personaleinsatz ist es in der Produktion für viele eines der teuersten Jahre aller Zeiten. Ein Glück, dass der Riesling als adaptierte Nord-Rebe stoisch in Wind und Wetter steht wie ein Islandpferd. Denn im Grunde wurde im Herbst immer klarer: Wenn man im Sommer richtig Gas gegeben hat, konnte das noch ein unglaublich starker Jahrgang werden – und so kam es dann auch. Nach diesem echten Cool-Climate-Sommer, der bis Ende August anhielt, retteten der September und ein Goldener Oktober den Weinjahrgang dann fast im Alleingang. Ein stabiles Hoch über Mittel- und Osteuropa sorgt für dieses seit Jahrhunderten bekannte Phänomen. Die Sonnenscheindauer ist gegen Oktober mit noch immer über 10 Stunden sehr hoch, dafür ist die Tag-Nacht-Amplitude schon viel ausgeprägter als noch im August. Da die Nächte länger werden, kann die Luft in Bodennähe stärker auskühlen. Das sorgt für eine langsame Ausreifung bei langer Hangzeit am Stock und trotzdem stabil bleibenden Säuren. Gerade der Riesling liebt das besonders, aber auch die Burgundersorten brillieren mit kühler Frische. Denn 2021 ist ein so spannendes, krachendes und zugleich kristallines Weißwein-Jahr, wie wir es lange nicht mehr hatten. Wer keine Angst vor berauschender Frische hat und sich gerne von hoher Spannung aus der Kurve tragen lässt, der wird mit 2021 seine größte Freude haben. Alle anderen sollten sich besser an die gar nicht so unähnlich gebauten, aber etwas freundlicheren 2020er halten.