Lobenberg: Morstein ist eine kühle Lage auf 250 Metern Höhe. Der untere und mittlere Teil besteht aus reinem Kalkstein. Kalk- und Tonmergel auf einem Kalksteinfels. Entsprechend eine Mischung aus Eleganz und Power. Durch die Lage, die sich über verschiedene Höhen zieht und die Windoffenheit hat der Morstein sowohl warme als auch kühlere Ecken. Grundsätzlich hat Philipp Wittmann drei Parzellen hier, die sich je nach Jahr sehr unterschiedlich präsentieren können. Ein absolutes Kernstück und zwei darumliegende, die aber nicht direkt angrenzend sind. Die Erntemenge war in 2023 im Morstein relativ »normal«, nachdem 2022 sehr klein war. Morstein 2023 hat dieselbe Faszination, die der 2022er auch schon hatte. Diesen wahnsinnigen Oszillographen aus kühler Würze und gigantischer Konzentration. Aber Morstein ist noch etwas kalkiger, noch feiner, noch steiniger als das etwas exotischere Brunnenhäuschen. Das Plus an Wasser im Boden, das 2023 im Vergleich zum Vorjahr hatte, wird schon sehr deutlich. Da ist schon viel Wein im Glas, es spannt und kracht, aber die stringente Eleganz des Morstein bleibt die DNA. Wir driften keineswegs in Exotik oder Opulenz ab, dafür ist er zu kühl und zu fein. Aber er hat Power – und davon nicht wenig. Dichte, herbsaftige Amalfizitrone, Orangenabrieb, würzig-pikante pinke Grapefruit. Und immer wieder Muschelschalen, Austernwasser und Meersalz. Diese höhere Mineralität ist eine Signatur des Jahrgangs, der mineralgetragener ist als 2022, eben auch aufgrund der Wasserverfügbarkeit, es ist weniger karg. Die ruhige Intensität des Morsteins ist ein Faszinosum, wir haben daneben aber schon eine elektrisierende Säurestruktur, auch die wirkt prägnanter als in 2022. Alles wird kalkig belegt, salzig, rassig, pikant und dann aber so unendlich fein in den Nachhall abhebend, all die Konzentration löst sich in feine Salzigkeit auf. Der Wein steht gefühlt für Minuten im Mund. Im Vergleich zum Brunnenhäuschen ist der Morstein noch etwas kühler im Nachhall, noch einen Ticken verspielter und feiner. Der Wein hört nicht mehr auf hintenraus, er rollt immer wieder durch mit dieser superfokussierten und packenden Art. Diese Perfektion erreicht sonst nur KPK, der ähnlich kompromisslos ist. Wie 2022 auch schon, wirklich ein Blockbuster-Morstein. Das ist die Blaupause für großen, kühlen, aber total reifen und entspannten Kalkstein-Riesling. Wo früher ein Clos St Hune von Trimbach das Maß aller Dinge war, ist es heute womöglich Wittmanns Morstein.
Der Winter 2022 auf 2023 brachte endlich, wovon wir in den letzten Jahren oft zu wenig hatten: Niederschlag. Dank Regen satt, waren die Wasserreserven nach dem viel zu trockenen 2022 endlich wieder gut gefüllt, was den Reben einen vitalen Start ins Frühjahr eröffnete. Nahezu keine Frostschäden und paradiesisches Wetter begleiteten eine tolle Austriebs- und Blütezeit, die die Winzerherzen höherschlagen ließ. Es folgte, woran wir uns – mit Ausnahme von 2021 – bereits gewöhnt haben: ein heißer und (zu) trockener Sommer. An den kargsten Standorten gab es wie im Vorjahr etwas Trockenstress. Die älteren Reben kamen aber aufgrund der satten Winterniederschläge glimpflich und sehr gesund durch den provençalischen Frühsommer. Nichtsdestotrotz hätte 2023 eine mittlere Katastrophe werden können, wenn die Trockenheit bis zur Lese so durchgepowert hätte, doch ausgerechnet der sonnenverwöhnte August brachte die Kehrtwende auf den Hacken, denn es war der regenreichste August seit langem. Ab Anfang/Mitte September – gerade recht zur Lesezeit – machte das Wetter vielerorts erneut eine Kehrtwende und schwenkte zurück zu sonnig-warmen, trockenen Verhältnissen. Die bereits kühleren Nächte ermöglichten eine hocharomatische Ausreifung, die 2023 diese gewaltige Fruchtstärke und kühle Brillanz beschert hat. Tatsächlich sahen die Trauben mancherorts aus wie von einem anderen Stern: goldgelb, hochreif und voll praller Energie und Saft. Ob 2023 wirklich DAS Jahr der Jahre ist, steht natürlich noch in den Sternen, aber die Vorzeichen sind mehr als grandios… es ist aus mehreren Gründen der faszinierendste Jahrgang der letzten Jahre. Kein Jahr zuvor war in der Vegetationsperiode so »sonnig« UND so »nass« zugleich. Also doch kein reines (Wein-)Wunder, dass 2023 diese wundervolle geschmackliche Mischung zwischen den aromatisch-dichten 2018ern und 2019ern, sowie den rassig-kühlen 2012ern und 2013ern ist. Warme, satte Agrumenfrucht ohne Ende, von Grapefruit bis Quitte ist alles dabei – und darunterliegend immer wieder dieser mitreißende Speichelturbo. Die Weine haben mehr Dichte als in 2020, eine höhere Reife als in 2021 und mehr Geschmeidigkeit als in 2022 – deshalb gefällt mir der Jahrgang beim Riesling in der Breite bisher auch besser als seine Vorgänger. 2023 kann sowohl 2021er Riesling-Freaks als auch Fans des runderen 2018 abholen. Die Einzigartigkeit der 2023er Rieslinge liegt im Akkord aus beeindruckender Dichte, die selten schwer wirkt, glasklarem Terroircharakter und einem Trinkfluss für die Götter. Die höhere Wasserverfügbarkeit der Reben hat vielen Weinen einen schwer in Worte zu fassenden »Fluss« verliehen. Die Besten sind so reich und geschmeidig, dennoch nie fett oder überwältigend, immer freudvoll und saftig. Vor allem im direkten Vergleich mit dem phenolisch-festeren und etwas kargeren Vorjahr 2022, ist das ein Quantensprung in Richtung früher Trinkbarkeit und Gourmetfaktor. Ich kann mir gut vorstellen, dass 2023 sogar bei den großen Weinen für eine längere Zeit offen und zugänglich bleibt. Das gibt dem Jahr potenziell ein riesiges Trinkfenster, denn dank tiefer pH-Werte und großer Balance ist das allemal auch ein Jahrgang für den Keller. In der Spitze sind die 2023er buddhistische Rieslinge. Keines der letzten drei Jahre hatte ein so stimmiges Gesamtbild aus expressiver Frucht, samtig-dichter Textur und perfekt reifen Säuren. 2023 fließt einfach – Hedonismus pur!