Lobenberg: Dieser Wein kam mir überraschenderweise auf einer Verkostungstour im Bierzo, im Nordwesten Spaniens, erstmals ins Glas. Eines Abends wurden Weine aus aller Welt mit dem Abendessen zum Spaß blind probiert. Dieser Wein faszinierte mich und alle befreundeten Winzer am Tisch sofort. Er war der Gewinner des Abends, auch wenn er mich zunächst ob seiner Komplexität auf eine Raketenreise um die Weinwelt nahm. War es ein Top-Wein aus den Abruzzen oder etwa doch ein Burgunder?! Die wilde Aromenvielfalt brachte mich nur über Umwege nach Barolo. Das kleine Weingut Scarzello liegt direkt hinter dem Weingut Bartolo Mascarello, mitten im Herzen von Barolo. Insgesamt gehören acht Hektar Weinberge zum Besitz. In diesen Comune di Barolo gehen die Trauben der um die 25 Jahre alten Reben aus einer zwei Hektar großen Parzelle der Cru Lage Sarmassa (bekannt durch Roberto Voerzio) auf 250 Höhenmetern und einer 0,5 Hektar großen Parzelle der Lage Terlo auf 350 Höhenmetern, alles wird von Hand gelesen. Die Böden bestehen hauptsächlich aus kalkhaltigen Tonböden mit etwas mehr Sand in Terlo. Spontan mit wilden Hefen vergoren, die Schalen mazerieren 30 bis 50 Tage lang mit submerged Cap, bevor abgepresst wird. So kommen die Trauben nie in Berührung mit Luft und der lange Kontakt mit den Schalen führt laut Federico Scarzello sogar dazu, dass die Tannine am Ende im Mund raffinierter, integrierter und sanfter im Geschmack werden. Die Schalen nehmen während dieser Mazeration nämlich einen Teil der Farbe und Tannine wieder auf – das ist komplett entgegengesetzt zu dem, wie man sich den Prozess der Extrahierung vorstellt. Sobald der Wein von den Schalen getrennt wurde, folgt der circa 20-monatige Ausbau, hauptsächlich in großen 2.500, 3.000 und 5.000 Liter fassenden Holzfässern und ein paar 500 Liter fassenden Tonneaux. Expressive Jahrgänge, die zugleich sehr fein sind wie auch 2020, werden etwas früher abgefüllt, um die Aromatik zu bewahren. Anschließend folgen mindestens 12 bis 24 Monate Flaschenreife, bevor der Wein auf den Markt kommt. Die Nachbarin Maria Teresa Mascarello scheint stilistisch ein Vorbild zu sein, denn hier haben wir ein phänomenales Finessewunder im Glas, das doch auch ein paar überraschend rustikale Asse aus dem Ärmel zaubert. Ein vielschichtiges Chamäleon, das den Charakter des Piemonts herrlich widerspiegelt! Zartes, leuchtendes Rubinrot. Die Nase ist voller reifer, duftender Walderdbeeren und saftiger Himbeeren. Feine Aromen von Teer, Graphit und Assam Tee mit Orangenschale sind mit der zarten Würze vielschichtiger Kräuter verwoben – von Salbei hin zu einem Hauch Minze ist hier eine krasse Aromen Palette abgedeckt. Der Wein ist explosiv und wollüstig intensiv. Im Mund ist dieser Barolo super saftig mit intensiver roter Frucht. Sauerkirsche, Cranberry, rote Johannisbeere. Die Tannine sind fein wie Nadelspitzen und harmonisch in die saftige Frucht integriert. Im Mund kommt gelbes Steinobst und ein Hauch Orangenschale hinzu. Saftig und vielschichtig, dabei auch sehr burgundisch. Ich wäre nicht überrascht, wenn das Weingut Scarzello in wenigen Jahren zum neuen Barolo Superstar der finessenreichen Barolo Stilistik wird. Den Wein habe ich direkt nach den berühmten Nachbarn probiert – er ist ein absolut geniale Entdeckung und besticht mit seiner zarten Komplexität und Balance. Kein lauter Wein, aber ein Eleganz-Wunder, das in diesem Jahrgang sogar schon bald trinkreif sein wird. Unter den Ortswein Baroli des Jahrgangs ein echter Star!
Der Jahrgang 2020 ist der Mittlere einer Trilogie herausragender, großer Jahrgänge im Piemont. Im Weinberg waren die Konditionen des Bilderbuch-Jahrgangs absolut perfekt. Während der Wachstumsperiode wurden die Reben mit ausreichend Regen versorgt, die Temperaturen waren im Sommer warm und ausgeglichen, ohne Hitzespitzen. Ab September sorgten die kühlen Nachttemperaturen für das langsame, gleichmäßige Ausreifen der Trauben – also hervorragende Voraussetzungen. Wenn man den Jahrgang mit nur einem Wort beschreiben müsste, wäre es »Balance«. Die besten 2020er Nebbiolo Weine sind mit unendlich dichter, manchmal beinahe überwältigend intensiver, umwerfend attraktiver, saftiger, vibrierender, roter Frucht ausgestattet. Sie haben viele, dafür aber unendlich feine, rund polierte Tannine, die harmonisch in diese opulente »Fruchtwelle« integriert sind, ihre rassige Säure verleiht den Weinen neben diesem Tanningerüst zusätzlich ein vielversprechendes Reifepotential. Ob ihrer reifen Frucht werden die 2020er Baroli und Barbaresci dennoch vor den noch intensiver und klassischer strukturierten 2019ern und auf jeden Fall vor den 2016ern in ihr Trinkfenster kommen. Das Barolo Consortium vergleicht 2020 mit dem Jahrhundertjahrgang 2016, aber die Weine haben genuss-technisch sogar noch mehr auf dem Kasten, denn sie erreichen eine traumhafte Kombination aus der ultra-hedonistischen Frucht des Jahrgangs 2018 mit der phänomenalen, klassischen Struktur des Jahrgangs 2019. 2020 ist also »The best of both worlds«.