Lobenberg: Der Untergrund des Brunnenhäuschens ist Terrarossa. Reiner Kalkfelsuntergrund, über dem dann roter, durch Eisen gefärbter Ton liegt. Südexposition. Uralte Reben. Ein Teil des Brunnenhäuschens wird auch Abtserde genannt, den ja nur Klaus-Peter Keller bewirtschaftet. Eine eher kühle Lage in der Nähe des Morsteins mit 220 Meter Höhe und guter Belüftung. Das ergibt extrem filigrane Weine. Gleichzeitig hat er eine wärmere, cremigere Stilistik als im Kirchspiel durch den eisenhaltigen Boden, zugleich hat es immer diese abgespacete Eleganz, dieses leicht Abgehobene. Die Eleganz kommt durch die alten Reben im Kalkstein. Was erstaunlich ist, dass Brunnenhäuschen und Morstein ob der Bodenbeschaffenheit trotzdem die voluminöseren und tieferen Weine bringen. Diese werden in der Regel, weil sie auf über 200 Meter liegen, später gelesen als das Kirchspiel. In der Nase sind wir wieder zurück in Westhofen, zurück beim Kalk-Tonmergel, bei der einmaligen Würze in gelbroter Frucht, die zwar ohne Wucht, aber mit ungeheuerlicher Dichte und Dramatik ankommt. Orangenblüte, Kumquat, Grapefruit, gelbe Kiwi. Das Brunnenhäuschen baut eine Dichte in der Mitte auf, die dem Kirchspiel abging, es kommt druckvoller, intensiver, immer neue Schichten bauen sich am Gaumen auf. Es schiebt wärmend und saftig, wunderbar köstlich und doch abenteuerlich tief und mehrdimensional durch den Abgang. Wow! Was für ein dramatischer Riesling, man ist geneigt Vergleiche zu KPK zu ziehen, die hier aber nicht angebracht sind, weil Philipp einfach anders ist im Stil. Aber diese absolut verführerische Textur ist schon ein Spiel, was nur die Top-Top-Liga der Rheinhessen wirklich beherrscht, das ist keine Handvoll Winzer. Dieser Wein gehört ganz nach vorne in Deutschland dieses Jahr. Ein atemberaubender Riesling, groß! 100/100
Mit den letzten Jahrgängen im Hinterkopf antizipierten die Winzer wie gewohnt einen eher trocken-warmen Witterungsverlauf. Doch 2021 machte recht schnell klar: nicht mit mir! Austrieb und Blüte waren bereits von ungewöhnlich nordisch-rauem Wetter begleitet und im Vergleich zu den Vorjahren »relativ spät« – im langjährigen Mittel also quasi normal. Die meisten deutschen Weinberge blieben von Frost verschont. Die recht harsche Witterung sorgte jedoch nahezu überall für Ertragseinbußen durch die windige, verregnete und dadurch unregelmäßige Blütephase. Der darauffolgende Sommer brachte zunächst keineswegs die Wende. Dramatisch konzentrierte Sommerniederschläge setzten der vorherigen Trilogie der heiß-trockenen Jahre ein jähes Ende und machten den Pflanzenschutz 2021 zu einer Sisyphusarbeit. Die Topwinzer haben 2021 Marathondistanzen in den Weinbergen abgeleistet, um der Situation Herr zu werden. Durch den zusätzlich hohen Personaleinsatz ist es in der Produktion für viele eines der teuersten Jahre aller Zeiten. Ein Glück, dass der Riesling als adaptierte Nord-Rebe stoisch in Wind und Wetter steht wie ein Islandpferd. Denn im Grunde wurde im Herbst immer klarer: Wenn man im Sommer richtig Gas gegeben hat, konnte das noch ein unglaublich starker Jahrgang werden – und so kam es dann auch. Nach diesem echten Cool-Climate-Sommer, der bis Ende August anhielt, retteten der September und ein Goldener Oktober den Weinjahrgang dann fast im Alleingang. Ein stabiles Hoch über Mittel- und Osteuropa sorgt für dieses seit Jahrhunderten bekannte Phänomen. Die Sonnenscheindauer ist gegen Oktober mit noch immer über 10 Stunden sehr hoch, dafür ist die Tag-Nacht-Amplitude schon viel ausgeprägter als noch im August. Da die Nächte länger werden, kann die Luft in Bodennähe stärker auskühlen. Das sorgt für eine langsame Ausreifung bei langer Hangzeit am Stock und trotzdem stabil bleibenden Säuren. Gerade der Riesling liebt das besonders, aber auch die Burgundersorten brillieren mit kühler Frische. Denn 2021 ist ein so spannendes, krachendes und zugleich kristallines Weißwein-Jahr, wie wir es lange nicht mehr hatten. Wer keine Angst vor berauschender Frische hat und sich gerne von hoher Spannung aus der Kurve tragen lässt, der wird mit 2021 seine größte Freude haben. Alle anderen sollten sich besser an die gar nicht so unähnlich gebauten, aber etwas freundlicheren 2020er halten.