Lobenberg: Dieser Gutswein überrascht mich jedes Jahr, immer denke ich wieder, dass es jetzt doch mal ein ganz gewöhnlicher Gutswein sein müsste, und jedes Mal setzt er erneut eine Benchmark im Gutswein-Bereich. Alles Handlese, alles aus Steillagen. Superfeine Nase, eine Melange aus frischer Zitrusfrucht, milde Mittelmeerzitronen, Flieder, Orangenblüte, grüne Aprikose. Er hat wie immer viel Finesse und eine absolut fantastische Säure. Salzig, steinig, schön trocken. Die Schieferaromatik kommt super durch. Ein Hauch Grapefruit spielt mit rein, da ist richtig Musik drin. Vibrierend und saftig. Ein fantastischer Riesling, der jeden Mosel-Fan sofort begeistern muss. Die Feuersteinigkeit des Schiefers kommt durch die rassige Säure und die angenehme Abwesenheit von Süße noch viel besser durch. Oliver Haag wird immer fokussierter, ernster und ein bisschen anspruchsvoller schon in der Basis, die dadurch aber auch schon weit über ihrer Klasse boxt. Viele wären froh, wenn sie so eine Qualität als Orts- oder Lagenwein verkaufen könnten. Der 2021er hat Druck, Frische und den moselanischen Biss, den viele der sehr warmen Vorjahre manchmal etwas vermissen ließen. Aber dieses Jahr hat den Trinkfluss und die Animation bei einer mineralischen Konzentration und gleichzeitig niedrigem Alkohol wie es eben nur die Mosel kann. Das ist die Trinkfreude in Perfektion. Wie jedes Jahr ein richtig schicker Wein mit einem Hang zur Größe. 92+/100
Mit den letzten Jahrgängen im Hinterkopf antizipierten die Winzer wie gewohnt einen eher trocken-warmen Witterungsverlauf. Doch 2021 machte recht schnell klar: nicht mit mir! Austrieb und Blüte waren bereits von ungewöhnlich nordisch-rauem Wetter begleitet und im Vergleich zu den Vorjahren »relativ spät« – im langjährigen Mittel also quasi normal. Die meisten deutschen Weinberge blieben von Frost verschont. Die recht harsche Witterung sorgte jedoch nahezu überall für Ertragseinbußen durch die windige, verregnete und dadurch unregelmäßige Blütephase. Der darauffolgende Sommer brachte zunächst keineswegs die Wende. Dramatisch konzentrierte Sommerniederschläge setzten der vorherigen Trilogie der heiß-trockenen Jahre ein jähes Ende und machten den Pflanzenschutz 2021 zu einer Sisyphusarbeit. Die Topwinzer haben 2021 Marathondistanzen in den Weinbergen abgeleistet, um der Situation Herr zu werden. Durch den zusätzlich hohen Personaleinsatz ist es in der Produktion für viele eines der teuersten Jahre aller Zeiten. Ein Glück, dass der Riesling als adaptierte Nord-Rebe stoisch in Wind und Wetter steht wie ein Islandpferd. Denn im Grunde wurde im Herbst immer klarer: Wenn man im Sommer richtig Gas gegeben hat, konnte das noch ein unglaublich starker Jahrgang werden – und so kam es dann auch. Nach diesem echten Cool-Climate-Sommer, der bis Ende August anhielt, retteten der September und ein Goldener Oktober den Weinjahrgang dann fast im Alleingang. Ein stabiles Hoch über Mittel- und Osteuropa sorgt für dieses seit Jahrhunderten bekannte Phänomen. Die Sonnenscheindauer ist gegen Oktober mit noch immer über 10 Stunden sehr hoch, dafür ist die Tag-Nacht-Amplitude schon viel ausgeprägter als noch im August. Da die Nächte länger werden, kann die Luft in Bodennähe stärker auskühlen. Das sorgt für eine langsame Ausreifung bei langer Hangzeit am Stock und trotzdem stabil bleibenden Säuren. Gerade der Riesling liebt das besonders, aber auch die Burgundersorten brillieren mit kühler Frische. Denn 2021 ist ein so spannendes, krachendes und zugleich kristallines Weißwein-Jahr, wie wir es lange nicht mehr hatten. Wer keine Angst vor berauschender Frische hat und sich gerne von hoher Spannung aus der Kurve tragen lässt, der wird mit 2021 seine größte Freude haben. Alle anderen sollten sich besser an die gar nicht so unähnlich gebauten, aber etwas freundlicheren 2020er halten.