Lobenberg: An einem Tag gelesen. Dieser Wein ist in vielerlei Hinsicht ein Kuriosum. Zuallererst einmal in der Bezeichnung. Der Wein kommt aus dem gleichen großen Weinberg wie der Herrenberg Großes Gewächs, aus dem unteren Teil mit den 1896 gepflanzten wurzelechten Reben in Einzelstockerziehung. Es darf aber ja bim VDP nicht zwei GGs aus einer Lage geben. Peter Jakob Kühn hat sich damit geholfen, seine Topweine Unikate zu nennen, was ich im Grunde verständlicher finde als diese Version von Carl Loewen, zumal es ja auch eine Erste Lage 1896 gibt. Der nur 1896 heißende Wein ist auf jeden Fall ein Experimentalwein, der hergestellt wird wie vor 100 Jahren. Hier kommt aber auch das beste Lesegut aus dem dritten Lesedurchgang des Herrenberg GG mit dazu. Die Verarbeitung geschieht wie vor 120 Jahren in reiner Handarbeit. Die mit der Hand gelesenen Trauben werden mit der Hotte zu den Traubenbütten auf dem Anhänger getragen. In der Bütte werden die Trauben unentrappt sofort mit den Füßen eingestampft, direkt noch auf dem Anhänger, damit der Saft austritt und die Mazeration der Trauben beginnt. So können die Aromen der Trauben voll aufgeschlossen werden. Am Abend des Erntetages beginnt erst das Keltern. Hierfür konnte das Weingut eine alte Korbkelter erwerben, die mit der Technik des vergangenen Jahrhunderts arbeitet. Mit Muskelkraft wird gekeltert, und zwar über die ganze Nacht in einem Durchgang, ohne erneutes Aufscheitern. Der Most wird ohne Sedimentation direkt ins Fuder gegeben. Die Gärung erfolgt spontan mit traubeneigenen Hefen. Über diesen langen Prozess ergibt sich dadurch automatisch eine relativ lange Maischestandzeit und dadurch eine gewisse Phenolik. Der Wein verbleibt bis zum nächsten Sommer komplett auf seiner Vollhefe, geschwefelt wird erst sehr spät. Die Vergärung geschieht im ältesten Holzfass des Weinguts von 1960, um jeglichen aromatischen Holzeinfluss zu vermeiden. Der Boden dieses 1896 ist, wie im Herrenberg, roter Schiefer, und er verfügt über eine besondere Wärme. Das einzige Manko hier ist, dass es immer nur ein einziges Fass ist. Enorm Intensität in der Nase, gerade für den etwas schlankeren 2020er Jahrgang ist das schon sehr intensiv. Zartes Steinobst, Grapefruit, Johannisbeere, Kumquat, Rauch und Grillkohle. Ein Kampf von weißen, gelben, roten und steinigen Elementen, hier ist alles dabei, alles spielt zusammen in dieser feinen Verwobenheit. Nicht so extrem konzentriert wie 2019, nein, es ist leiser, noch feiner, fast abgehoben. Vor allem im Mund eine irre Mischung aus vibrierender Intensität, die aber ohne Wucht oder Schwere kommt und dieser leichtfüßigen, saftigen Aromatik mit charmantem rotem Himbeer-Einschlag. Für den Jahrgang hat das schon viel Druck in der Mitte, fast wie ein Prälat. Ja, der Prälat ist mit dieser Wildheit wohl der einzige Weinberg, den ich hiermit vergleichen möchte. Selbst im etwas leichteren Jahr 2020 ist das ein Wein zum Kauen. Vorne war es superelegant, in der Mitte fleischig und dicht, hintenraus ein langer Nachhall mit einer Würze und einer wunderbaren Süße wie von kandierten Früchten. Getrocknete Aprikosen, cremig, gezuckerte Mandarine und würzige Himbeere. Ich bin sehr angetan von diesem würzig-eleganten Oldschool-Riesling. Ein großer Wein, der die Natur und den Genießer mitnimmt. 97-100/100