Lobenberg: Graach hat dieses Jahr bei Prüm eine Ausprägung der dritten Art. Anders und trotzdem grandios. Ich bin normalerweise nicht der Riesenfan von Spätlesen, eher von Kabinetten und dann gleich Auslesen. Aber diese 2019er Spätlese hat es in sich. So eine drückende Nase. Weißer Pfeffer, eine ganz leichte Phenolik, ganz viel konzentrierte Quitte und Reineclaude. Keine Zitrusfrucht, die ist bei Prüm in 2019 scheinbar kaum vorhanden. Das macht aber gar nichts, denn die Feinheit ist dennoch da. Leichte Apfelnoten, Reineclaude, Kalkstein und Salz. Komplett botrytisfrei, total cleanes Lesegut. Eine sehr eigenständige, verspielte Nase. Viel Schiefer kommt jetzt. Wow, was für ein multikomplexes Geruchsbild! Der Mund ist der Hammer. Aber nicht der Hammer wie manchmal mit diesem enormen Spektrum von extremer Säure, mit gleichzeitiger Säure, wie es sie oft bei Prüm gibt. Nein, wir haben hier die hohe Reife, aber nichts Süßes, nichts Pappiges. Als Gegenpart haben wir nicht Äpfelsäure, sondern sanfte Weinsäure und richtig traubige Power, Kraft und Fülle. Trotzdem nichts Fettes, nichts Schweres, nichts Süßes, sondern unendlich fein und gleichzeitig dicht und kraftvoll. Die Spätlese ist eine Fortsetzung dieses außergewöhnlichen Kabinetts, mit etwas mehr Süße, mehr Honig und einer deutlicheren Schiefernote. Das Kabinett war vielleicht nochmal ein bisschen unikathafter. Die Spätlese steht lange, kommt zurück mit einer wunderschönen Akazienhonig-Spur, mit süßer Melone, einem Hauch Mango und Walnuss. Eine Spätlese von Prüm für Menschen, die sonst sagen: «Riesling vertrag ich nicht, da ist mir die Säure zu hoch.» Der Wein hat Frische und trotzdem kommt er nicht über spitze Säure, sondern hat etwas Burgundisches, etwas Feines. Er hat die Süße und trotzdem hat er nichts zu Süßes. Es ist eine trinkige Spätlese. Selbst ich, der ich nicht so viel Süßweine trinke, kann diese Spätlese problemlos mit Freude genießen. Auch nach zwei Minuten steht sie noch. Ein lustiges Jahr bei Prüm. Was für eine eigenwillige, tolle Spätlese! 98-100/100