Lobenberg: Die Nase unterscheidet sich vom Los Yelsones in fast dramatischer Art und Weise. Dieser Eisensand kommt mit einem Schwall von Blut, Graphit, Hagebutte und Schlehe. Die Trauben wurden zu 100 Prozent entrappt, aber die Nase erinnert dennoch ein bisschen an Rappen – so würzig! Dieser Untergrund zeigt sich einfach komplett in der Nase, dagegen kommt das Holz nicht durch. Normalerweise ist der Tiznado immer stärker als der Yelsones, aber in 2022 ist Yelsones so ultrafein und tänzelnd, dass der Tiznado zwar durch seine enorme Wucht und Intensität vorne steht, aber gleichzeitig in meiner finalen Beurteilung nicht besser wegkommen kann. Beide sind potenzielle 100-Punkte-Weine, beide haben 2022 einen pH-Wert von 3,5, die Säure liegt zwischen 5,5 und 6,5. Wow, nur die Nase reicht – diese Intensität, diese immense Länge! Selten, dass man so eisenbeladene, blutgetränkte Weine in der Nase hat. Schlehe und Hagebutte, Blut und Salz. Der Wein steht und steht, er schiebt unendlich lang mit Salz, trotzdem ist er nie fett. Er ist nur intensiv, komplex und sehr pikant. Im Mund kommt dann auch eine fast atemberaubende Feinheit dazu, eine spielerische Leichtigkeit in dieser rotfruchtigen Komposition. Schlehe, Sauerkirsche und rote Kirsche dominieren, dazu ein satter Schub aus Lakritze und Veilchen. Ein Fruchtkaltschale mit Salz und Stein. Hochintensiv! Der Wein braucht 10 Jahre, um das alles zu verdauen. Extrem schick, extrem fein! 98-100/100 *** Cuentavinas ist das Mikro-Weingut von Edoardo Eguren, Sohn der berühmten Rioja-Dynastie. Drei Einzellagen in einer der besten Gemeinden der Rioja, winzige Produktionszahlen. Alles penible Handarbeit, ein Prestigeprojekt und zugleich ein sehr persönliches. Edoardo Eguren hat seine Grundausbildung in Australien und Kalifornien absolviert. Die Bearbeitung seiner uralten Buschreben ist etwas anders, mit einem speziellen Entblätterungssystem, das er in Australien gelernt hat. Das führt dazu, dass die Trauben und Beeren extrem klein bleiben. Der Ertrag liegt am Ende bei nur 500 bis 800 Gramm pro Pflanze. Aus einem Hektar Weinberg holt er weniger als 2.000 Flaschen. Er macht nie eine grüne Lese, weil er direkt nach der Blüte die Reben im unteren Bereich entblättert. Das härtet die Beeren ab und führt zu einem geringen Wachstum wegen geringerer Photosynthese. El Tiznado ist der Grand Cru für Edoardo, ein herausragender Wein aus einer der besten Lagen der Rioja. Es gibt nur 800 Flaschen von diesem ultrararen Stoff. Ein Weinberg mit 0,5 Hektar Fläche in der Lage El Hoyo, 1920 angelegt, also uralte Reben. Alles Tempranillo verschiedenster Genetik. Hochlage auf 500 Metern mit atlantischen Einflüssen, zugleich geschützt von den Gebirgen der Sierra Cantabria. Der Wein heißt „tiznado“, weil die Spanier so den extrem seltenen Bodentyp nennen, auf dem er wächst. Verwitterter Sandstein, größtenteils sandig und fein, mit ungewöhnlich hohen Eisenanteilen. Roter Sand also. Ein sehr spezieller Cru und daher auch Edoardos ganz persönlicher Grand Cru. Die Trauben werden komplett entrappt, die Maische im offenen Holzcuves spontan vergoren, für die Malo und den Ausbau wird der Wein dann in neue französische Barriques abgezogen.
Da ich als zuständiger Weinscout inzwischen einen Teil meiner Jahreszeit in Spanien verbringe, bin ich über Wetter und Klima vor Ort permanent gut im Bilde. Trockenheit, Hitze, wenige guten Regenfälle vor allem in den ersten 4 Monaten. Weil es im Winter wie auch im März April satt Regen gab, war die Basis für den trockenen Sommer perfekt. Und Wärme gab es auch zum Austrieb und auch zur Blüte, sich wie ein roter Faden bis zur Ernte ziehend. Dazu erstaunlich kühle Nächte im Mai, Juni, Juli und August, aber ein eher warmer trockener Spätsommer und Herbst. Die Story der großen Trockenheit wurde mir von jedem Winzer immer wieder erzählt. Und diese Story ist oft baugleich zu Bordeaux, das ja oft die gleiche Wetter- und Klimageschichte wie alle mittleren und östlichen Nordregionen Spaniens über das Jahr hat. Selbst die atlantischen frühen September-Unwetter und Regenmengen in Bordeaux und der Rioja bleiben seit dem Klimawandel oft aus, fast immer kann jetzt im September und Oktober in Ruhe bis zum optimalen Erntezeitpunkt gewartet werden. Die Ernte wurde nach etwas glücklichem kleinen Regen im Juli und August somit teilweise über 6-8 Wochen gestreckt. Die absolute Besonderheit in 2022 war aber auch in Spanien der kontinuierliche Verlauf der Trockenheit und Hitze und die relativ kühlen Nächte über das sommerliche Weinjahr. Die Reben waren 2022 perfekt assimiliert an das Klima. Trotz der Hitze war nichts gekocht, die Laubarbeit und Bodenbearbeitung der Winzer war dem Klima über die Jahre perfekt angepasst, eine perfekte Anpassung der Reben fand statt, war ganz anders als im von plötzlichen Hitzewellen dominierten Schock-Jahr 2003 mit schlecht präparierten Winzern und Weinbergen. Und auch 2022 gibt es, wider Erwarten von uns Laien, trotz oft hoher Alkoholgradationen eine erstaunliche Frische in den Weinen. Tiefe PH-Werte sind die Regel, die Biodynamiker sprechen von den tiefsten je gemessenen Werten. In Zusammenhang mit oft hohen Tanninlevel, hoher Reife, satter samtig seidiger Frucht, hohem Alkohol und zugleich famoser Säure, sprechen viele Winzer vom besten Jahr ihrer Geschichte (Oxer, Artadi und Cuentavinas), und das von der Rioja bis Ribera, vom Priorat bis Bierzo. ALLE Regler nach rechts! Und es gibt 2022 eine grandiose Harmonie und Balance und sensationelle Finesse und Feinheit. Wie in Bordeaux. Nach meiner Verkostung kann ich das durchaus in vielen Fällen bestätigen, obwohl es auch 2021 hochinteressante, oft sogar aufregendere und energiegeladenere Weine und oft sogar präzisere Weine gab. Für mich selbst war, von Einzelfällen abgesehen, 2021 und 2022 bei absolut verschiedenem Charakter eher auf gleicher Höhe, manchmal sogar mit leichtem Vorteil bei 2021. Wer z.B. 2022 bei so viel Feinheit zu viel neues Holz einsetzte oder die Weine zu lange im Holz ließ, konnte die Weine mit ihrer samtigen Seidigkeit auch mal zu »nett«, zu holzlastig und auch manchmal etwas belanglos ausfallen lassen. 2021 hatte klar mehr Druck und Wucht, um neues Holz wegzudrücken. Und wie in Bordeaux gilt auch in Spanien: Die besten Terroirs und alten Reben waren 2022 dramatisch im Vorteil und die Biodynamiker hatten »das Jahr der Jahre«.