Lobenberg: Dieser Premier Cru ist eigentlich immer der beste Wein der gesamten Appellation, und da Pessac Léognan dieses Jahr so ein High-Flyer ist, sollten wir hier an der Spitze sein. Abwarten ob der Premier Cru das wirklich halten kann. 56% Merlot, 6,5% Cabernet Franc und 37,5% Cabernet Sauvignon. Die Ernte verlief über fast einen ganzen Monat vom 19. September bis zum 13. Oktober. Das Stadtgebiet von Bordeaux hat immer den Vorteil, dass etwas besseres Kleinklima herrscht. Insgesamt immer früher in der Lese zu sein als die südlicheren Pessac-Weingüter. Anders als La Mission, zeigt Haut Brion in der Nase genau diese fehlende Süße, die ich bei La Mission eben so schmerzlich vermisst habe. Wuchtige, süße, schwarze und rote Kirsche, feine Maulbeere. Aber Kirschfrucht dominiert. Auch intensive Zwetschge, sehr fein zerdrückte Himbeeren, Pflaume und ganz sanfte Süße. Nicht aggressive Johannisbeere. Ein sehr schöner Fruchtkompott. Auch ein bisschen Erdbeere, weißer Pfeffer, helle, fast weiße Schokolade, schöne Blumigkeit. Die Nase ist unglaublich schön und berauschend. Der Mund lässt die Augen zusammen ziehen. Die Zunge rollt sich fast. Das ist ein massiver Ansturm an hochintensiven Gerbstoffen und dann kommt ganz viel Säure. Das Tannin ist geschliffen, die Säure ist nicht spitz, aber alles ist reichlich vorhanden. Eine so hohe Intensität. Sogar leichter Bitterstoff dazu. Das ist ein Angriff auf den Gaumen. Das ist zwar kein Wein, der weh tut, aber weit davon entfernt ist er auch nicht. Das ist so explosiv im Gaumen. Was mich stört ist der leichte Bitterstoff im Nachhall und auf der Zunge, zusätzlich zur Mineralität. Oder ist es mineralische und Tanninschärfe? Auf jeden Fall ist es ziemlich brachial und irgendwie auch fein zugleich. Dramatisch. Ein ziemlicher Kracher. Ist das wirklich die Spitze der Appellation? Ich glaube es zumindest bezogen auf Köstlichkeit nicht. Ich fand Haut Bailly, Pape Clement, Smith, Carmes und Seguin da besser. Mir ist das zu trocken im Ausdruck. Zu brachial. Mir fehlt ein wenig der Charme. Und nur weil man ein Premier Cru ist, kann man nicht erwarten dafür einen großen Bonus zu erhalten. Dafür gibt es zu gute Konkurrenz. Ein sicherlich großartiger Wein, aber mir persönlich zu extrem in seiner etwas bitteren Tannin-Ausdrucksweise. Zu brachial, zu brutal in seiner Art. Das wundert mich sehr, hat dieses Weingut normal auch so viel Feinheit. Die Frische ist da, das Tannin ist da, die Wucht ist da, es ist auch Süße da. Aber um als Gesamtkomposition erklingen zu können, dazu fehlt mir schlussendlich die Harmonie und die große Feinheit. Dafür wird er 100 Jahre halten und nach 50 Jahren die zuvor genannten Mitbewerber abhängen. Ist doch auch was! 97-100/100