Lobenberg: Das junge Ehepaar Barraud arbeitet auch bei anderen Weingütern. Richard ist Weinbergsmanager von Château Haut Batailley in Pauillac. Die beiden Enthusiasten haben ihre 3,5 Hektar Rebberge im Médoc, nördlich von Pauillac, erst 2006 in Betrieb genommen. Château Carmenere, im obersten Bereich des Médoc gelegen, ist seit einigen Jahren im Besitz einer optischen Nachsortier-Maschine, die im obersten Qualitätsbereich im Bordelais schon lange bekannt ist. Lasergesteuert, mit Luftschuss-Aussortierung. Diese gebrauchte Maschine kommt von Ducru-Beaucaillou, dort hat man sich neuere Technik gekauft. Das führt zusätzlich zur händischen Auslese zu weiteren 10 Prozent Ausschuss nicht vollreifer Beeren. Die Perfektion schreitet bei Richard immer weiter voran. Er ist im Grunde ein ähnlicher Extremist wie Stephane Dief auf Château Clos Manou. Extreme Weinbergsarbeit in Verbindung mit einer extremen Handauslese und nachträglicher optischer Auslese. Einer der absoluten Superstars und trotzdem völlig unbekannt. Das Weingut arbeitet im Keller und im Weinberg voll biologisch. Beraten wird es vom besten Önologen des ganzen Médoc, Eric Boissenot, der auch alle Premier Crus berät und betreut. Die Cépage ist 66 Prozent Cabernet Sauvignon, 19 Prozent Merlot und 15 Prozent Carménère, eine Rebsorte, die diesem Weingut auch seinen Namen gibt. Sie bringt eine ungeahnte Würze und Authentizität mit sich. Die Weine aus der Rebsorte sind speziell, spezifisch und ausdrucksstark, insgesamt bei den Winzern jedoch nicht so beliebt, da Ertrag und Beeren sehr klein sind und die Aromatik dominant. Carménère ist tanninreich und vor allem ausdrucksstark. Die Qualitätsfetischisten stehen auf die Rebsorte. Das Jahr 2019 startete hier ganz im Norden trocken und warm, mit einer normalen Blüte, allerdings mit einer geringen Wasserversorgung. Anfang Juni war die Blüte abgeschlossen, der anschließende Juli war warm und heiß. Hätte es nicht Mitte August eine kühlere Phase gegeben, mit rund 12 Millimeter Regen, hätte das Jahr ein Desaster werden können. Diese Kühle und der Regen im August gingen über in einen heißen und trockenen September mit insgesamt geringen Regenmengen. Erst in der zweiten Septemberhälfte gab es noch einmal 30 bis 60 Millimeter Regen, sodass die Weinberge ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten. Die Folgewochen waren warm und trocken, ziemlich perfekt. Der Jahrgang wird bestimmt durch die lange Stillstandsperiode in den zu trockenen Zeiten. Das Ganze hat aber die Säure und die Frische des Jahrgangs gerettet, bei gleichzeitig sehr reifer Frucht. Die extreme Anzahl an Sonnenstunden in 2019 hat den Jahrgang dominiert. Die Weine sind außergewöhnlich klar und reif, aber niemals überreif. Die Lese fand erst Anfang Oktober statt, die Trauben wiesen, trotz der hohen Reife, eine ungeahnte Frische auf. Fast verwunderlich in einem insgesamt schon eher mediterranen Jahr. Auf Carmenere wird dann alles in Beton fermentiert, natürlich spontan. Danach der Ausbau und die malolaktische Gärung in Fässern verschiedener Größen, Barriques, Tonneaus und Halbstück. Wir sprechen hier aber von vielfach gebrauchtem Holz. Insgesamt eine gute Mischung verschiedener Fassgrößen, Hölzer und Baujahre. Die Nase zeigt zuallererst Holunder und Schlehe, dazu süßlicher Eukalyptus und Lakritze. Ziemlich viel Fett zeigend und gleichzeitig eine Garrigue-Krautwürze, die verblüfft. Das alles vermischt mit Blaubeere, schwarzer Kirsche und Cassis. Die Nase strahlt Würze, schwarze Frucht und reife Süße aus. Dafür fast eine schiefrige Sauerkirsche, alles im schwarzen, würzigen Bereich. Die Lakritze in der Nase ist salzig und süß zugleich, alles ist immens und dicht und reich. Ein bisschen kalifornisch, erinnert ein wenig an Ridge Monte Bello. Im Mund Lavendel, Veilchen, Rosenblätter und auch wieder Lakritze, leichte Holunder-Bitternis, Carmenere eben. Minze, eingekochte Schwarzkirsche und etwas süße Brombeere und Blaubeere mit getrockneten Sauerkirschschalen, wieder etwas bitter, schwarze Oliven. Das Ganze ist trotzdem sehr frisch bleibend, würzig und verspielt. Hier wird klar, dass der Wein einige Jahre brauchen wird. Er ist weniger zugänglich als der 2018er, ganz klar nicht besser, nur etwas spannungsgeladener und aufregender. Insgesamt extremer im Oszillierenden zwischen pikanten Noten, Süße, Tannin und Reife. Aber er steht eindeutig in der Historie des großen 16er, in der auch der Jahrgang 2018 stand. Eine Frische, die aus der reifen Frucht kommt. Eine geniale Wucht und Dichte, die aber durch diese immense Garrigue-Würze und diese lakritzigen Blaubeere und der in Säure schwimmender schwarzen Kirsche gut gebändigt wird. Ein sehr eigenwilliger und individueller Wein. Durch seine Caménère-Dominanz weniger archetypisch Medoc als die beiden grandiosen Konkurrenten Doyac und Clos Manou, aber kein Stück dahinter zurück, im Gegenteil. Anders in seiner Wärme und Schmelz, aber auf dem gleich hohen Level wie Clos Manou! Nur muss man dem Käufer und Sammler sagen, dass dies eben nicht Standard-Médoc ist, das ist nichts von der Stange. Während ich das notiere, kommt langsam die Caménère in Form von süßer Amarena Kirsche und salziger Lakritze mit Schwarzkirsche, bitterer Holunder und schwarzer Olive wieder hochgerollt. Das ist schon verblüffend guter, eigenwilliger Stoff mit enormer Dichte, Kraft, Schmelz und großer Wärme. 2019 ist zudem so pikant im Frische-Dichte-Reife-Frucht-Spiel, dass er schon atemberaubend groß und ungeheuer, ja verblüffend preiswert erscheint. Zu Recht hat Richard Barreau gerade im August 2022 für diesen Wein den begehrten 'Coup de Coeur' des Guide Hachette erhalten, sicher DIE Auszeichnung in Frankreich schlechthin! 97-98/100