Lobenberg: Die Ernte 2019 war extrem klein, aber von sehr hoher Qualität. Im Durchschnitt gab es nur 20 Hektoliter pro Hektar. Im Scharzhof selber, also bei allen vier Weinen unseres Programms, unter 18 Hektoliter pro Hektar. Egon Müller selbst hält 2019 für einen seiner großen Jahrgänge und stellt ihn qualitativ und von der Aromatik und Qualität auf eine Stufe mit dem großen Jahrgang 1999. Die Ernte begann am 30. September bei schönem Wetter und zog sich bis weit in den Oktober. Qualitätswein und Kabinett waren in geringster Zahl da, diese Weine sind fast botrytisfrei. Die Nase des Kabinett ist pur Maracuja. Wow, was für eine Pikanz! Ein Balletttanz einer Primaballerina auf der Rasierklinge. Maracuja mit Braeburn-Apfel. Ein Hauch Birne vorne und ein wenig helle Netzmelone. Etwas rauchig, tolle Schiefermineralität. Leicht salzig, leichte Schärfe in der Nase. Eine milde Aromatik von Limettenabrieb. Dieses Kabinett dürfte von der Nase her – anders als der Gutswein – schon ein wenig Botrytis gesehen haben. Aber ganz cleane Botrytis. Keinerlei Bitterstoffe. Der Mund, was soll ich sagen: Was für ein Jahrgang! Eine unglaublich tolle Frische in dieser sahnigen, kandierten Fruchtsoße. Kandierte Limette, kandierte Mandarine, Maracuja wieder. Aber nichts Spitzes. Die Säure ist komplett Weinsäure, keinerlei Äpfelsäure, nichts Aggressives. Ein unglaublich komplexes Spiel, ein großer Oszillograph und eine wunderbare Länge. Eine grandiose Harmonie. Der Wein erinnert mich an das Große Gewächs Abtsberg von Maximin Grünhaus im Jahr 2019, der hatte ein ähnlich famoses Spiel, einen ähnlichen Oszillographen, aber war natürlich komplett trocken und hatte den Druck an einer anderen Stelle. Hier ist die Intensität sicherlich anders zu verorten. Aber der Wein steht noch nach zwei Minuten. Der Wein ist trotz der wegen der hohen Pikanz schmalen Augen, der grandiosen Frische mit dieser wunderbar kandierten Fruchtsüße, eine richtige Wohltat. Ein Leckerli und Charmeur der anderen Art. Ein Wein zum Zurücklehnen, Füße hochlegen, Kaminfeuerprasseln und als Solitär über den ganzen Abend genossen. Dieses Kabinett 2019 ist so gut wie sonst Egon Müllers Versteigerungskabinett. Das gehört zum allerbesten meiner Kabinettgeschichte. 98-99/100