Lobenberg: Der Gavarini Chiniera trägt nicht mehr den Namen Ginestra, obwohl er natürlich aus der Großlage Ginestra kommt. Aber Gianluca Grasso unterscheidet eben Ginestra Casa Maté von diesem Gavarini Chiniera. Die Lage ist ein leichter Hügel oben am Wald in 450 Metern Höhe, der dann in ein kleines Amphitheater übergeht. Auf der einen Seite geschützt vom Wald, auf der anderen Seite ist es auch windig. Zusammen mit kreidigen und sandigen Böden gibt das eine ganz andere Stilistik als beim auf 350 Meter liegenden Ginestra, der fast nur aus weißem Lehm besteht. Der Gavarini Chiniera hat dementsprechend immer etwas mehr Säure, man muss aber auch immer etwas später Lesen. Schon die Blüte ist hier circa acht Tage später und das zieht sich durch bis zur Ernte. Die Besonderheit bei Grasso besteht in der extrem langen Mazerationszeit. Es müssen außerordentlich gesunde Trauben gelesen werden, um sich 30 bis 40 Tage Mazeration und Gärphase erlauben zu können. Jede Unsauberkeit durch Botrytis und Co. würde durch die lange Verweildauer verstärkt werden. Hier bei Grasso werden alle Trauben mit einer extra entwickelten Entrappungsmaschine komplett entrappt. Selbst jedes noch so kleine Stielchen wird aussortiert. In großer slawonischer Eiche ausgebaut. Mittleres Rubinrot mit einem Touch Orange. Wow, die Nase ist ein Vosne-Romanée vom anderen Stern! Rote Kirsche, saftig reife Erdbeere, Granatapfel, ein kleiner Hauch Ganztraubenduft mit feinen Kräutern mit einer feinen kalkhaltigen, fast salzigen Mineralität, die ganz sanft aber anhaltend über der Frucht liegt. Das ist so zart und schwebend. Im Mund ist das mit das Feinste, was mir aus 2019 in den Mund gekommen ist. Viele Tannine, die aber fein strukturiert sind. Zarte Kräuter, ein Hauch Bitterschokolade. Das ist ganz klar ein großer Wein, der aber noch ein paar Jahre braucht, um sein volles Potenzial zu entfalten. Dieser grandiose Jahrgang 2019 ist bei Elio Grasso ganz klar ein großes Jahr. Ich bin geflasht von der hervorragenden Balance dieses Gavarini Chinera. Er braucht einige Jahre Reifezeit im Keller, aber er liegt für mich dieses Jahr vor dem Casa Mate. Alles ist am rechten Fleck. Das ist ein absolut phänomenaler Wein! 98-100/100
Der Jahrgang 2019 ist im Piemont wie auch in vielen anderen Regionen Europas ein magisches Jahr der Perfektion, er wird als klassischer Jahrgang hoch gelobt und im selben Zuge auch hoch bewertet. Viele Winzer vergleichen den Jahrgang mit dem Weltklasse-Ausnahme-Jahrgang 2016, besonders wegen der Tannindichte, Konzentration und Power der Weine. Den entscheidenden Unterschied zu den 2016ern macht aber die Balance der vielen dichten Tannine mit der wollüstigen Frucht, die süßer und saftiger ist als in den 2016ern. Die vibrierend frische, ausgleichende Säurestruktur der Weine sorgt für die ultimative, herausragende Balance. Der hohe Anteil an Polyphenolen bringt dabei vor allem bei Nebbiolo eine gesund leuchtende Farbe hervor, die tiefer und intensiver ist als in den Vorjahren. Im Grunde genommen haben die 2019er den Genuss-Regler lauter aufgedreht als die 2016er, sie sind eine hedonistische Version dieses klassischen Jahrgangs. Trotz all der Saftigkeit und Balance werden die Weine aber einige Zeit brauchen, um in ihr ideales Trinkfenster zu kommen, frühestens ab 2025, idealerweise ab 2028 geht’s los. Die Topweine haben das Zeug dazu, locker 20 und mehr Jahre im Keller zu reifen. Sie sind stramme, elegante Marathonläufer.