Lobenberg: Der Obere Spitzer von Dorli Muhr ist nicht einfach ein Blaufränkisch – er ist vielmehr ein stiller Beweis dafür, dass diese Rebsorte auf großem Kalksteinboden mit kühlem Mikroklima Weine von absoluter Weltklasse hervorbringen kann. Ein Grand Cru in allen Belangen! Wenn man ihn blind ins Glas bekommt, wandert der Kopf sofort ins Burgund, vielleicht nach Chambolle oder Nuits, dorthin, wo feine Pinot-Noir-Typizität auf kalkgeprägte Tiefe trifft. Schon in der Nase wirkt dieser Wein wie aus der Zeit gefallen. Kein Druck, kein Holzgeprotze, sondern Transparenz, Komplexität und Reduktion auf das Wesentliche. Zart-rauchige Noten, ein Hauch Waldboden, dann ganz viel Noblesse: Hagebutte, Schlehe, zerstoßene Himbeere, getrocknete Preiselbeere, dazu ein florales Obertonspiel von Veilchen, getrockneter Rose und Lavendel. Im Hintergrund feiner schwarzer Tee, Darjeeling vielleicht, etwas kalte Asche, getrocknete Kräuter, ein Hauch Süßholz, Graphit und kühler Stein – und immer wieder diese ätherische Frische. Am Gaumen zeigt sich der Obere Spitzer fast schwerelos und doch mit festem Kern. Unglaublich feinmaschig, völlig unaufgeregt, völlig ungekünstelt. Die Tannine: seidig, wie aus Samt gesponnen. Die Frucht bleibt stets auf der kühlen Seite – Cranberry, rote Johannisbeere, etwas Sauerkirsche, ein Hauch Blutorange. Nichts ist süß, nichts verspielt. Stattdessen herrscht hier ein Gleichgewicht aus vibrierender Frische, kalkiger Textur und einer faszinierenden aromatischen Tiefe. Die Säure trägt das Ganze wie ein unsichtbarer Faden, der den Wein über den Gaumen zieht. Die Mineralität pulsiert leise und doch eindrücklich – das ist wie flüssiger Fels. Es gibt wenige Blaufränkisch, die mit solcher Anmut, Präzision und innerer Spannung ausgestattet ist. Und noch weniger, die es schaffen, Größe über Stille auszudrücken. Kein Lärm, keine Attitüde, einfach nur Essenz. Ein Wein, der mehr durch das weglässt, was er nicht braucht – Dichte, Alkohol, Barrique, Lautstärke – und genau dadurch so unerhört tiefgründig wirkt. Dieser 2021er ist einer der rar gesäten Weine, die nicht Eindruck machen, sondern Eindruck hinterlassen. Für mich auf einem Level mit großen Burgundern – nicht im Sinne von Nachahmung, sondern in seiner ganz eigenen, kargen und gleichzeitig noblen Sprache. Ein Meisterwerk des leisen Tones, das weit über die Rebsorte hinausreicht. Definitiv einer der ganz großen Rotweine Mitteleuropas.