Lobenberg: Tour Saint Christophe ist das erste Weingut und auch das Paradeweingut von Herrn Kwok, einem Investor aus Hongkong, der sich in Bordeaux Stück für Stück ein Imperium zusammengekauft hat. Allerdings geht es nur um absolute Topqualität. Das Team rund um den Regisseur Jean-Christophe Meyrou und den Önologen Jérôme Aguirre, die zuvor Château Le Gay und Château La Violette aus der Taufe in den Olymp gehoben haben, setzt mit voller Konsequenz auf Qualität. Das ist schon ein Extremisten-Team. Château Tour Saint Christophe ist so mit das Spannendste, das es an Terroirs in Saint-Émilion gibt. So wie es an der Südseite, an der Côte Pavie, mit Château Pavie, Coutet und Bellefont-Belcier großartige Weingüter gibt, so liegt oben auf dem Plateau von Saint-Émilion in Richtung Castillon dieses Weingut auf komplettem Kalkstein mit leichter Lehmauflage. Terrassenförmig in den Kalkstein gewachsen und das Ganze dann nochmal als Amphitheater ausgebildet. Biologische Weinbergsarbeit, aber ohne Zertifizierung. 80 Prozent Merlot, 20 Prozent Cabernet Franc, 14,3 Volumenprozent Alkohol. Nur 35 Hektoliter pro Hektar geerntet, pH-Wert 3,6. Die Fermentation findet komplett ohne Schwefel in offenen Barriques und in Betontanks statt. Der Ausbau dann komplett in Barriques, davon 40 Prozent neu, der Rest Zweitbelegung. Es gibt circa 80.000 Flaschen, bei 20 Hektar sind das 4.000 Flaschen pro Hektar. Und das bei extremer Dichtpflanzung. Also Erträge von circa einem halben Kilo pro Stock. Die Kalksteinterrassen sind in Süd-Südwestexposition und liegen direkt vis à vis von Château Barde Haut. Aber eben mit der besseren Exposition. Die Weine verbleiben schwefelfrei bis kurz vor der Flaschenfüllung. Die Nase ist spannend, weil sie zuallererst eine pfeffrige Schärfe zeigt. Piment und schwarzer Pfeffer. Pumpernickel, satte Schwarzkirsche. Dann kommen Mango und Orangenabrieb. Satte helle Lakritze, deutlich Minze, sie wechselt sich ab mit dem Pfeffer und sticht frisch in die Nase. Ein Traum zusammen mit der schwarzen Kirsche. Dann folgt Eukalyptus. Eine reiche Duftwolke. Der Mund ist so sensationell frisch und aromatisch, dass es einem die Sprache verschlägt. Ich kann den Text kaum besprechen, weil sich alles zusammenzieht, weil alles so pikant ist. Die rote Frucht ist dabei aber sehr konzentriert. Es ist mehr Berberitze, Cranberry und Schlehe. Konzentrierte Sauerkirsche. Dann kommt Himbeere und erst ganz langsam gesellt sich etwas Cassis dazu. Viel Kaffee, etwas Tabak, Holunder, grandioser Kalkstein-Salz-Nachhall in diese Orgie an geschmacksexplosiven Eindrücken. Und gleichzeitig ist der Wein ultrafein im Tannin. Der Gerbstoff ist komplett zivilisiert. Seidig, samtig. Nichts schmerzt, nichts Grünes, vollreif und trotzdem frisch. Und trotzdem ist es ein Saint-Émilion, der auf einer konventionellen Linie Saint-Émilions fährt. Es ist ein archetypischer Vertreter der Appellation Saint Emilion, wie die Genießer ihn im Großen und Ganzen auch seit Jahrzehnten erwarten. Das setzt sich ja fort bis zu Ausone und Cheval Blanc in der Spitze. Das ist diese totale Finesse in schwarzroter Frucht, mit dieser lakritzigen und holzgestützten Umrahmung. Einfach Saint-Émilion at it´s best. Clos Foutet, Troplong Mondot, Pavie – alles gehört in diese Schiene, die im Gegensatz steht zu diesen rotfruchtigen Wunderweinen um die Finesseweine der anderen Welt um Tertre Roteboef, Terte de La Mouleyre, Jean Faure und Coutet. Da stehen sich irgendwo zwei Lager gegenüber. 2019 gibt es aber zum Glück aus beiden Lagern einfach ultragute Weine. 2018 war groß, 2019 hat das Quäntchen mehr Finesse aus der Frische und das Quäntchen mehr Aromatik aus diesem enormen Oszillographen, der erstmals über einen so extrem großen Horizont spannen muss. Tour Saint Christophe ist oben angekommen. Chapeau! Großes Kino! 97-100/100