Lobenberg: 100% Merlot. Dieses winzige, nur 2,5 Hektar große Weingut ist direkt an den Ausläufern der Hänge von St Emilion und die Fortsetzung der Hänge von Tertre Roteboeuf Richtung Castillon gelegen, direkt unterhalb und zur Seite von Castillon. Dieses im Grunde lehmige Ufer liegt aber unerwartet zu 100% auf einer reinen Kalksteinplatte mit Lehmauflage, eine ehemalige Kalkstein-Ziegelei war deshalb hier angesiedelt, mit das beste Terroir Saint Emilions. Hier wird alles in reiner Handarbeit im Weinberg gemacht. Pierre Lafon ist auch viel mit der Nagelschere unterwegs. Biologisch organische Weinbergsarbeit, was sonst? Penibelste Bearbeitung jeder einzelnen Rebe. Zu 100% spontan vergoren aus vollständig entrapptem Traubengut. Die Handlese führt dann auch zu einer reinen Handentrappung. Das ist ein Aufwand, den sich kein normaler Winzer erlauben kann. Dementsprechend clean und perfekt ist das Biomaterial, denn 70% der Trauben wurden per Hand entrappt. Dieser Mann arbeitet wirklich in unbeschreiblicher Art und Weise und voller Enthusiasmus. Einige Wochen vor der Lese, direkt nach der Verfärbung, schneidet Pierre mit zuvor genannter Nagelschere alle nicht perfekt reifen Trauben raus. Bei den anderen Trauben werden die linke und rechte Schulter und die Spitze entfernt, um nur das Herz mit der höheren Konzentration weiter reifen zu lassen bis zur Lese. Der Ausbau der Weine geschieht spontan, also mit natürlichen Hefen in zu 100% neuen Barriques und 500 Liter Tonneaus. Die Lese führt er ganz allein an einem Tag durch, am 29. September 2015. In 2015 gibt es 12000 Flaschen, das ist die gleiche Menge, die Pierre 2010 hatte. Die größten Jahrgänge geben i.d.R. auch die normalsten und regulärsten Mengen. Die 2015er Nase verblüfft. Ich habe gerade noch einige Tage zuvor einen 10er getrunken, der deutlich massiver rüberkam. Im 2015er ist überhaupt kein Holzeinfluss spürbar. Das Ganze ist unglaublich fein, voll auf schwarzer Kirsche gestrickt, eine leichte süße Maulbeere darunter, auch Brombeere, aber so zart, so pur und schwebend. Kalkstein kommt durch, ein super Fruchtcocktail. Noch mal, das Phänomenale ist, dass trotz des neuen Holzes einfach überhaupt keine Spur davon in der Nase ist. Das Tannin hat ein extrem hohes Level, aber es ist überhaupt nicht trocken, sondern saftig. Es ist nicht spürbar, weil es so butterweich und seidig ist. Die Säure bei Pierre hat völlig normale Werte, sie ist sogar leicht erhöht. Der Ertrag lag bei gut 35 Hektoliter pro Hektar. Anders als 2014, wo man eine Cabernet-Affinität im Mund hatte, ist 2015 eindeutig Merlot, aber im Grunde kein Merlot aus St Emilion, sondern diese unglaubliche Feinheit eines Merlots aus Pomerol. Eine Stilistik, wie wir sie auch schon bei Clos St. Julien, der auch auf reinem Kalkstein steht, hatten. Diese unendliche Feinheit des Merlot ist normalerweise in St. Emilion so nicht machbar. St. Emilion besticht sonst eher durch Cabernet Franc, aber hier in 15 ist das Ganze unendlich fein. Mit welchem Château kann ich es vergleichen? Es geht ein bisschen in Richtung Clinet und hat auch einen leichten Hauch von Eglise Clinet. In der Feinheit kommt L’Évangile noch mehr in der Erinnerung hoch. Das Ganze ist so zart verwoben und so spielerisch leicht. Säure und satte Tanninmassen sind zwar im langen Nachhall am Gaumen, Zahnfleisch und Zunge zu spüren, aber niemals störend oder aggressiv. Das erste mal am Ende dieses dritten Tages unseres Verkostungsmarathons sagen mein Freund Max Gerstl und ich, wie schön, dass wir nach dem grandiosen 2015er in Deutschland einen gleichguten Jahrgang in Bordeaux probieren dürfen. Wir sind bei 2010 mehr auf die Knie gefallen. Wir waren bei 2009 tiefer beeindruckt und weggeblasen, wir hatten aber noch nie so viele Köstlichkeiten, Feinheiten, trinkbare Finesse, so viel seidige Grandiosität und Erhabenheit. Jedenfalls nicht in meinem Verkostungshorizont seit ungefähr 1989. Wir haben hier zumindest die gesteigerte Feinheit eines 1998er und 2001er. Letztlich zarter und doch profunder als alles, was ich probiert habe. Also noch einmal, kein Jahrgang zum Niederknien, kein Blockbuster, kein Eindruck-Schinder, sondern einfach nur unendlich fein, lecker, köstlich und einfach wunderschön. 97-98/100