Lobenberg: Das Weingut hat 55 Hektar, davon 45 Hektar in Produktion. Der Generaldirektor ist Laurent Dufau und seit ewigen Zeiten ist der Weinmacher Vincent Mellet. Önologischer Berater und Superstar des Médocs, der alle Premier Crus berät, ist Eric Boissenot. Eric Boissenot ist bekannt dafür, dass er Frische im Wein erhält. Er erntet nie zu spät, nie in Überreife. Das ist eigentlich sein Markenzeichen. Das Ganze wird gepaart mit immer sehr niedrigen Erträgen pro Pflanze. Das heißt Dichtbepflanzung. Hier sind wir inzwischen auf 8.000 Pflanzen pro Hektar. Natürlich alles per Hand gelesen. und mechanische Sortierung der entrappten Beeren u.a. mit speziellen Rütteltischen und danach nochmal eine Handsortierung. Auf Calon Ségur wird immer schon alles zu 100% entrappt, was im nördlichen Teil des Médoc durchaus Sinn macht, denn hier gibt es häufig auch etwas grüne Rappen. Spontangärung im großen Fuder. Der Ausbau erfolgt anschließend in 100% neuem Holz, 2020 für 20 Monate. Hier ist der Ausbau komplett klassisch im neuen Barrique, keine Tonneaus, keine Betoneier. In Bordeaux gab es 2020 eine unglaubliche Regenmenge im Frühjahr. Während der frühen, aber perfekten Blüte, blieb es zwei Wochen lang trocken, direkt danach gab es wieder Regenfälle. Von Mitte Juni bis Mitte August fiel dann allerdings keinen einziger Tropfen Regen mehr. Bei Sandböden war das ein Desaster – die Reben bekamen Trockenstress. Bei Lehmböden, wie wir sie in den besten Lagen des Médoc und Pomerol haben, oder auf reinem Kalkstein, wie oft in Saint-Émilion, war das überhaupt kein Problem. Zumal Mitte August circa 80 Millimeter Regen fielen. Ende August nochmal 15 Millimeter. Danach war es den ganzen September über trocken. Also ziemlich perfekte Bedingungen für hervorragendes Terroir, perfekte Bedingungen für hohe Reife und satte Tanninwerte, bei recht moderater Säure. Calon Ségur 2020 besteht aus 78 Prozent Cabernet Sauvignon, 12 Prozent Merlot, neun Prozent Cabernet Franc und ein Prozent Petit Verdot. 40 Prozent der Gesamtproduktion gehen in diesen Erstwein, 60 Prozent in den Zweitwein Le Marquis. Der pH-Wert liegt bei 3,85, die totale Säure bei 3,5, der Alkoholgehalt bei 13,8 – also relativ moderat. Calon Ségur ist einer der Hauptprofiteure des klimatischen Wechsels. 70 bis 80 Zentimeter Kies liegen über reinem Lehm – perfekt für die immer heißeren Jahre, weil dieser Lehm ein perfekter Wasserspeicher ist. Insofern gab es in dieser Hinsicht auch 2020 keine Probleme. Die Nase ist eine aromatische Explosion. Ganz reife schwarze Frucht, Cassis und Brombeere vor schwarzer Kirsche. Fast dramatisch, aber nicht rau, sondern dramatisch in der reichen, weichen, gerbstoffreichen Süße. Unglaublich. Reinspringen ist alles. Aber der Wein ist gar nicht butterweich, denn er hat durchaus Grip, auch in der Nase. Im Mund ist er noch explosiver. Wow, was für ein Ansturm! So eine hochintensive schwarze Frucht, mit einem Drama, mit einer enormen Spannung, mit Druck. Aber mit absolut toller Reife. Schwarze, reife, dichte, hochintensiv aromatische Brombeere, Kirsche und Cassis. Von allem reichlich. Tannin bis zum Abwinken. Auch das nicht rau, sondern durchaus seidig. Aber der Wein hat Grip, hat Kanten und Dampf. Das ist einer der großen Weine aus Saint-Estèphe in 2020. Und vielleicht der beste Calon Ségur, den ich je probiert habe. Natürlich gibt es jedes Jahr irgendwo ein Best Ever, aber Calon Ségur hat diese grandiose Balance und Harmonie aus dieser extrem hohen Reife. Aus dem Grip, aus dem Dampf, aus dem klassischen Metier heraus. Der Wein endet überhaupt nicht. Das ist wirklich schicker Stoff! Er braucht Zeit, aber er braucht nicht wie Cos d´Estournel 12 bis 15 Jahre. Bei Calon Ségur mögen sieben bis zehn Jahre durchaus reichen, weil er so eine grandiose Harmonie zwischen dem Grip, dem Dampf, dem Drama und der reifen, hedonistischen Frucht aufweist. Superb! 100/100