Von Thiemo Kausch

Der Weinguide für Primärfrucht-Fans

Jetzt trinken oder liegen lassen? Eine Frage die sich jeden Tag viele Weinenthusiasten stellen. Dann gibt es auch diejenigen, die sich ganz bewusst für einen jungen Wein entscheiden. Menschen mit einer ganz bestimmten Haltung …

Weinguide für Primärfrucht-Fans


Wenn man sich so die Kommentare unter einigen Degustationsnotizen im Social Media ansieht, dann könnte man meinen »Der ist doch viel zu jung« oder »Babymord« liegen auf einer Kurzwahltaste der Facebook App. Aber muss man sich denn schämen junge Weine zu trinken?
Zunächst fehlen vielen Weinfans die Optionen. Wer in der Stadt wohnt, hat oft nicht die geeigneten Lagerkapazitäten, um einen Keller aufzubauen. Andere stehen noch am Anfang ihres Weinlebens und sammeln somit noch nicht lange genug. Nebenbei benötigt man auch etwas Kleingeld. Und was passiert in der Zwischenzeit? Durstig bleiben? Viel Geld auf Auktionen oder dem Sekundärmarkt ausgeben? Es gibt eine weitere Möglichkeit, eine Haltung: Die Fruchtphase kann etwas Wunderschönes sein.

Fruchtphase, ja bitte!

Ob ein Wein jung oder alt besser ist, bleibt immer Geschmackssache und ist kein Gesetz. Vielleicht ist es ein bisschen wie das Leben selbst: Die Unbekümmertheit der Jugend bringt eine andere Lebensfreude als die des Alters, wenn Erfahrung und Weisheit Qualitäten strahlen lassen, die der junge Mensch nur erahnen kann. Jedoch, beide Phasen haben ihre absolute Berechtigung.
 
Für diejenigen, die begeistert junge Weine trinken, habe ich heute ein paar Tipps. Sozusagen »the buyers guide für Babymörder« (spätestens jetzt stehen wir bei einem Algorithmus auf der Beobachtungsliste).

Burgund ist (fast) immer eine Bank

Chardonnay und Pinot Noir aus dem Burgund lassen sich oft schon wunderbar in ihrer Jugend genießen. Vergleichsweise kleines Geld kosten die Chardonnays aus der nördlichsten Appellation Chablis. Hier machen gerade auch schon die 2018er Spaß, sogar die Premier Crus! Ein absoluter Charmeur-Jahrgang für Rotweine an der Cote d’Or war 2015. Pop and pour, oder ein paar Stunden karaffieren. Die Weine machen jetzt richtig Freude. Wer aber noch einen 2013er auf dem Markt sieht, sollte auch hier zuschlagen.

Lapierre Illustration

Deutscher Riesling aus 2016 und 2018

Eigentlich gibt es gerade bei den Top-Erzeugern keine schlechten Jahre mehr, nur andere. 2016, 2017 und 2018 sind jeder für sich ein Erfolg. Aber während gerade die größeren Weine aus 2017 früh verschlossen waren, macht 2016 nach wie vor eine Riesenfreude, vom Gutswein bis zum Großen Gewächs. Ich liebe diesen Jahrgang nicht nur wegen seiner Frische, dem niedrigen Alkohol und diesem wunderbaren Schmelz. Er ist nach wie vor zugänglich. Ich frage mich, ob der jemals zumacht? Noch jünger und trotzdem genial zu trinken, sind die 2018er, die etwas aromatischer sind und reifer wirken. Am besten beides testen und selbst entscheiden.

Modernist Style Barolo

Wer seinen Kopf verlieren möchte, der stellt sich am besten auf die kleine Aussichtsplattform in La Morra und verkündet mit aller Kraft, dass Barolo im kleinen Holz ausgebaut werden sollte. Was für langanhaltende Verfeindungen, sogar innerhalb einzelner Winzerfamilien im Piemont gesorgt hat, ist für den ungeduldigen Weintrinker aber eine Chance. Barolo aus neuer französischer Eiche ist früher zugänglich als jener, der in den traditionellen Botti reift. Aber natürlich schmecken sie auch anders...

Bordeaux 2015 ist zum niederknien

Wer hätte gedacht, dass man auch in Bordeaux Weine findet, die schon in ihrer Jugend eine ungemeine Freude machen? Mit dem Jahrgang 2015 alles kein Problem. Köstlich, lecker, charmant und überhaupt nicht hart. Das sind die Eigenschaften, mit denen sich einer der besten Bordeaux-Jahrgänge der Geschichte brüsten kann. Perfekt für Jungtrinker. Und wer glaubt, er braucht nach einer Flasche 2015 erst mal ein paar Stunden Bettreife, der irrt. Denn Bordeaux kann auch frisch sein. Genuss pur!

... bitte aus großen Gläsern und mit großen Schlücken

Hat jemand Champagner gesagt?

Auf jedes der großen Häuser der Champagne kommen unzählige kleinere Winzer mit überragenden Qualitäten. Die Einstiegs-Cuvées sind in der Regel zum sofortigen Genuss vinifiziert und schmecken nach purer Lebensfreude. Und wann trinkt man Champagner am besten? Champagner geht immer. Aber bitte aus großen Gläsern und mit großen Schlücken.

Fazit

Wein ist so wandelbar, facettenreich und launisch wie die Spezies, die ihn herstellt und durchläuft dabei ganz ähnliche Lebensphasen. Alle zeigen Persönlichkeit mit unterschiedlichsten Vorzügen und Schwächen. Aber alle gehören gelebt und erlebt.
 
Viel Freude mit der Primärfrucht!

Jetzt die Mordlust stillen:

97–98+
/100

BIO

VDP

Limitiert

Riesling Oestrich Doosberg Großes Gewächs

Peter Jakob Kühn

Rheingau

f

Riesling, trocken

z

mineralisch
fruchtbetont
unkonventionell

a

Lobenberg: 97–98+/100

Galloni: 97/100

97–98+
/100

Vollenweider

Mosel Saar Ruwer

f

Riesling, trocken

z

mineralisch
voll & rund

a

Lobenberg: 97–98+/100

Suckling: 94/100

97+
/100

Meyney

Bordeaux, Saint Estephe

f

Cuvée, trocken

z

voluminös & kräftig
tanninreich

a

Lobenberg: 97+/100

Galloni: 95/100

94+
/100

BIO

Chablis Terroirs de Beru

Beru

Burgund, Chablis

f

Chardonnay, trocken

z

fruchtbetont
mineralisch
unkonventionell

a

Lobenberg: 94+/100

95
/100

Louis Jadot

Burgund, Cote d'Or

f

Pinot Noir, trocken

z

seidig & aromatisch
saftig

a

Lobenberg: 95/100

Thiemo Kausch

Thiemo Kausch

Thiemo ist Chief Marketing Officer bei Lobenbergs GUTE WEINE. Doch auch außerhalb des Büros zählt Wein, neben Essen und Golf, zu seinen größten Leidenschaften. Ab und zu geht er zusammen mit Heiner Lobenberg auf Reisen, um mit Geschichten, Bildern und Videos für Shop und Magazin zurückzukommen.

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