2023 ist der Jahrgang zum Auffüllen des Kellers und für den puren Genuss: zugänglich, geschmeidig, reich, mit eleganter Fülle und viel Extraktsüße. 2024 ist ein Jahrgang für Insider: rar, eigenwillig, straff und tiefgründig, sicherlich der insgesamt durchwachsenere, aber in der Spitze nicht weniger faszinierende Jahrgang.
Wo ordnet sich 2023 also ein? In Sachen Durchschnittstemperatur lag es mehr als auf Augenhöhe mit 2022 und 2018, war allerdings regenreicher und damit ausgewogener als beide – es liegt damit im Spektrum der heißen Jahre ziemlich mittig und balanciert. 2024 ist hingegen quasi singulär. Zwar war die Temperatur auf einer Höhe mit Jahren wie 2000, 2002 und 2014 – und sogar wärmer als 2012, 2016 und 2021, aber bei deutlich geringerer UV-Intensität. Einfach ein echt verrücktes Jahr, das nur die besten Winzer wirklich gemeistert haben.
Nach den monumentalen Hitzejahren 2020 und 2022 war 2023 eine Art Befreiungsschlag. Wir haben hier keinen Jahrgang der reinen Kraft, sondern einen Jahrgang der Klassik und Moderne verbindet wie 2019. Die 2023er strahlen durchaus Power aus, sind aber nicht so enorm strukturiert und fest wie 2022 oder 2018. Es ist eine ziemlich perfekte Symbiose aus Transparenz für die Nuancen der Terroirs und cremiger Zugänglichkeit.
Nach den teils extremen Trockenjahren war 2023 eine Wohltat. Die Reben hatten Wasser, sie hatten Sonne, aber keine langanhaltende Dürre. Während 2022 oft eine enorme Dichte und Konzentration verkörpert, wirkt 2023 wie ein tiefes Ausatmen in feinster Seidigkeit.
Die Blüte verlief nahezu perfekt, fast zu gut, sodass viele bereits im Sommer den Ertrag etwas ausdünnten. Das Verrückte an 2023 war, dass es an sich erstmal kein allzu heißes Jahr war. Die Temperaturen waren relativ moderat und es gab recht viel Regen über den warmen, aber nicht extremen Sommer. Alles deutete zunächst auf einen ganz klassischen Jahrgang hin. Doch kurz vor der Traubenreife Ende August und bis zur Lese kam der Turningpoint: Die Temperaturen stiegen Ende August und Anfang September in drastischen Hitzewellen bis in die Lese hinein auf bis zu 35 Grad und mehr. Eine solch extreme Hitzeentwicklung nach einem an sich nicht extremen Sommer gab es laut Nathalie Tollot von Tollot-Beaut in dieser Form noch nie. Diese entscheidenden Tage der finalen Reifephase haben den Jahrgang dann sehr viel mediterraner ausfallen lassen als zunächst gedacht und den Weinen nochmal einen Touch mehr Süße und Schmelz mitgegeben, der sie so verführerisch macht.
Im besten Fall sind dies Weine beider Farben mit demonstrativem Charme und direkter Zugänglichkeit – und mitunter mit einer für eine so reichhaltige Ernte überraschenden Struktur.
Wir haben eine vergleichbare Opulenz und eine warme Würze wie 2022, aber es ist nicht so wuchtig, weil der Ertrag durch den regenreicheren Sommer höher ausfiel. Das gibt dem Jahr einen interessanten Twist mit reicher Fruchtauslegung und einer feinen, klassischen Seidigkeit. Wir liegen fast überall am »Sweet Spot« zwischen 12,8% und 13,5% vol. Alkohol ohne Chaptalisierung – das heißt selten alkoholische Schwere, sondern pure Trinkigkeit. 2023 ist einer der mengenmäßig generösesten Jahrgänge der letzten Jahrzehnte. Es gibt endlich wieder genug Wein, um die weltweite Gier nach Burgundern zumindest ansatzweise zu stillen.
Das Phänomen: Trotz der hohen Erträge – die Reben waren durch das Regen-Plus nach 2022 extrem vital – gibt es kaum geschmackliche Verwässerung. Warum? Weil die Extraktwerte phänomenal sind und die Hitzewelle vor der Lese die Weine final nochmal etwas aufkonzentriert hat. Es ist kein Jahr der dunklen Erdtöne wie 2018, sondern ein Jahr mit hoher Strahlkraft und überraschend heller Frucht. Die Tannine sind 2023 so zart und so schön geschmeidig wie zuletzt 2019.
Die Weißweine sind nicht so offensichtlich tropisch wie einige 2018er und 2020er. Genauer gesagt neigen sie zwar zu einem solchen Stil, ohne sich aber zu weit vom traditionellen weißen Burgunder zu entfernen.
2023 ist ein grandioses Jahr für die Genussfreude, das mit seiner frühen Zugänglichkeit, seidig-zarten Tanninen und wollüstigen Frucht ein riesiges Trinkfenster eröffnet. Ich glaube, viele 2023er werden sich in ihrer eleganten Reichhaltigkeit kaum verschließen. Oder um es mit Neal Martin von Vinous zu sagen: »Mir fällt kein anderer Jahrgang ein, der schon aus dem Fass so viel Genuss verspricht«.
Die Chardonnays ähneln für mich am ehesten 2018 oder 2009 mit etwas mehr Säurefrische, also reich, cremig und einnehmend, aber mit einer gewissen klassischen Brillanz und bei den Besten keinesfalls überreif.
Nicole Lamarche in Vosne-Romanée hat in 2023 die wohl beste Kollektion ihrer Karriere geerntet – durch die Bank Weine von beeindruckendem Format und bestechender Eleganz. Lamarche hat sehr niedrige Erträge gefahren in 2023, sogar niedriger als 2022 in Summe. Das ist natürlich ein Abstrich, aber sie wollte auf keinen Fall in die Falle tappen, dass ihr die Konzentration fehlt am Ende. Die Weine habe eine enorme Energie, sind 2022 nicht unähnlich, haben aber mehr Frische und eine feinere Struktur. Großes Kino!
In unmittelbarer Nachbarschaft arbeitet die Boutique-Domaine Jean Tardy. Auch in 2023 wie immer zu 100 Prozent entrappt. Seit dem Jahrgang 2023 hat Winzer Guillaume Tardy einen nagelneuen Entrapper, der die Trauben absolut nicht ankratzt. Somit geht er mit geschlossenen Trauben in die Spontangärung und stößt dann ein, zwei Mal unter, um den Zucker freizusetzen, das gibt dann einen satten Fruchtschub und noch purere Aromatik. Die 2023er sind eine Explosion in dunkelroter Frucht, dass es nur so kracht. Das lief schon direkt von der Presse so, sagte Tardy. Die ganze Cuverie roch nach Waldbeeren. Hedonismus pur.
Einen wirklich ausgesprochen leckeren und verführerischen Jahrgang 2023 hat auch unsere neue Gevrey-Domaine Henri Rebourseau in die Flasche gebracht. Interessanterweise hatte sich die Domaine entschieden den sehr strukturierten Jahrgang 2022 zurückzuhalten – er wird erst 2026 erscheinen. Das köstliche 2023 ist jetzt schon open for business und verbindet die strenge Mineralität von Gevrey mit einem seidigen Fruchtkern. Die Domaine verfügt über mit den besten Lagenbesitz der Gemeinde, darunter satte fünf Grands Crus. Um die Domaine näher kennenzulernen eignet sich das sehr interessante Lagen-Duo »La Brunelle« und »Aux Corvées«, die quasi direkt im »Garten« der Domaine mitten in Gevrey-Chambertin liegen und mit einem traumhaften Bestand alter Reben bestockt sind.
2023 ist ein hammermäßiges Jahr bei Bruno Lorenzon in Mercurey und dort fast noch intensiver als 2022. Power ohne Ende. Für Lorenzon ist es ein hypothetischer Blend aus 2018 und 2019. Wir haben diese gewaltige Struktur wie 2018 oder auch 2005, dazu eine frische, knackige Frucht wie 2017 oder 2019. Es hat fast ein bisschen Hermitage im Charakter mit lakritziger Dichte. Enorm reich, duftig, drückt aus dem Glas. In 2023 hat sogar Lorenzon, der eigentlich so straffe, kühle Rotweine macht, diese cremige, mediterrane Seite im Pinot. Brutaler Stoff, aber nichts für Zartbesaitete!
Während 2023 ein breites Grinsen der Natur war, traf 2024 die Winzer direkt mit voller Naturgewalt. Von Beginn der Vegetationsperiode bis zur Lese durfte man die Reben quasi keine Minute aus den Augen lassen. Man muss es so deutlich sagen: 2024 ist ein Winzer-Jahrgang. Wer im Mai und Juni im Urlaub war oder gegen den Mehltau nicht permanent auf Trab war, hat fast alles verloren. Viele Domaines haben trotz intensivem Einsatz 50 bis 80 Prozent Verlust durch Frost, Mehltau und Hagelschlag erlitten. An der Côte de Nuits war es noch gravierender als an der Côte de Beaune – auch weil Chardonnay etwas robuster gegen Mehltau ist.
2024 war sehr regenreich. Und es war deutlich kühler als die Vorjahre. Schon die Blüte verlief sehr durchwachsen mit viel Verrieselung und daraufhin ungewöhnlich heftigem Mehltaubefall, was die potenzielle Erntemenge schon früh im Jahr drastisch reduzierte. Mehltau ist vor allem ein Mengenproblem, kein Qualitätsproblem. Denn die verkümmerten Trauben fallen über den Sommer meist ohnehin auf den Boden oder bilden sich nicht vollständig aus und können dann selektiv leicht entfernt werden. Auf den durchwachsenen, regnerischen Sommer folgte ein goldener September, der der Qualität einen satten Schub verpasste, während die Quantität vielerorts ein Trümmerhaufen blieb – vor allem an der Côte de Nuits. Die Lese lag im Schnitt drei Wochen später als 2023, im generellen Kontext also sehr klassisch und »oldschool« wie früher.
Trotz all der Widrigkeiten, die das Jahr für die Winzer bereit hielt, ist 2024 für mich eines der spannendsten Jahre zuletzt. Warum? Weil es aufregend und sehr eigenständig ist und eine ungeahnte Bandbreite an Stilen mit sich bringt.
Im Jahr 2024 kann die Qualität von Produzent zu Produzent, von Weinberg zu Weinberg und sogar von Reihe zu Reihe variieren. Im Jahr 2024 gibt es keine festen Regeln. Kein Dorf und keine Region hat sich deutlich besser oder schlechter entwickelt als andere.
Die besten Weißen sind für mich eine Renaissance von 2014. Wahnsinnig fokussiert und berauschend straff und kühl. 2024 erinnert an die „»gute alte Zeit«, als das Burgund für eine vibrierende Säurefrische und schlanke Eleganz aus niedrigen Alkoholgraden zwischen 12% und maximal 13% vol. stand. Es sind Weine mit einem laserartigen Fokus. Die Mineralität ist berstend und kristallin – sie krallt sich an den Papillen fest und lässt sie nicht mehr los.
Ganz klar eine Rückkehr zur kühlen Aromatik, wie es auch 2021 war. Statt Schwarzkirsche und Pflaume haben wir mehr rote Sauerkirsche, Himbeere, rote Johannisbeere und ganz feine Kräuternoten mit puristischer Mineralik. Die Vinifikation war herausfordernd, vor allem aufgrund der teils sehr kleinen Mengen, die nicht so einfach zu vergären sind. Viele Winzer haben die Ganztraubenanteile zurückgefahren, um keine unreifen grünen Töne zu riskieren. Einige jedoch sind auch 2024 fast all-in gegangen mit den Rappen – es ist eben ein Jahr der Gegensätze.
2024 glänzt an der Côte de Nuits mit feiner Struktur und Kühle. Die Pinots sind reservierter, seriöser als 2023 und tief mineralisch. Sehr viel klassische Sauerkirsche, Johannisbeere, Graphit, kühl wie Morgentau und die Säure ist der Taktgeber. Das ist Pinot Noir für Puristen, die das Zupackende lieben, mit Reminiszenzen an 2010 oder 2001. Die Preise werden aufgrund der winzigen Erntemengen wahrscheinlich nicht wirklich sinken und die besten Weine werden wohl so oder so ziemlich rasch vom Markt verschwinden.
Während 2024 in Rot noch einen leichten Hang zum Freakstoff hat, ist es in Weiß teilweise Weltklasse. Die Chardonnays besitzen 2024 eine unglaubliche Energie – bei den besten ist es die Renaissance des großen 2014. Sie sind weniger breit und ausladend als 2023. 2024 schießt wie ein Pfeil über die Zunge. Null fett oder barock, nur vertikale Dynamik. Die Weine haben Druck, aber sie bleiben tänzerisch. Für Liebhaber des puristischen, kühlen Kalkstein-Chardonnays ist 2024 eine Offenbarung. Einige Chardonnays wie Marc Moreys Chassagne 1er Cru Caillerets oder Faiveleys Corton-Charlemagne habe ich seit langem – wenn nicht sogar noch nie – so herausragend gut aus dem Fass probiert.
Die Trauben waren bei Domaine Marc Morey nach dem nassen und kühlen Sommer sogar im warmen Chassagne nur geradeso reif. Also genau am Spannungspunkt, wo es interessant wird, mit ausreichend Substanz und dennoch feinem grünlichem Touch in der Frucht. Ich liebe das. Auch Winzerin Sabine Mollard vergleicht den Jahrgang am ehesten mit 2017 oder 2014. Wer die »Cool Climate«-Stilistik liebt, findet hier seine Meisterstücke.
Bei Domaine Faiveley ist es im aktuellen Stadium schwer vorherzusagen, ob wir in 10, 15 Jahren auf den Jahrgang 2024 zurückschauen und er hat nicht so richtig eingeschlagen – oder ob sich die Sammler um jede Flasche auf den Auktionen überbieten werden, weil sie so genial und rar sind. Ich persönlich werde mir den Keller vollpacken mit 2024, so gut ich kann. Die 2024er sind bei Faiveley magisch. Der beste Corton-Charlemagne seit dem 2014er und auch die Pinot Noirs sind teils atemberaubend fein.
Für Clos des Lambrays-Winemaker Jacques Devauges ist 2024 sehr klar mit 2010 zu vergleichen, denn die Weine waren am Anfang des Ausbaus noch recht tight und scheu und sind dann immer weiter aufgefächert – also tiefer, dichter und komplexer geworden. Die Tannine sind straffer und salziger als in 2023, das mehr Schmelz hatte. Lambrays 2024 ist Oldschool vom Feinsten. Im Grunde ein zarter Wein, aber er hat so viel Druck, so viel Salz und Schub aus der Mineralität und eben nicht aus seinem relativ schlanken, energetischen Körperbau. Das ist großes Kino für Liebhaber des Oldschool-Burgund. Der 2024 Clos des Lambrays tritt in die Fußstapfen des genialen 2010ers – und wenn er sich genauso fein und langsam entwickelt, ist das in 15 Jahren ein Mega-Wein. Für meinen Gaumen ist das nahe der Perfektion – auch wenn das jemand, der die große Power sucht, eher in 2022 sehen mag.
Am Ende sind wir Weinfreaks die großen Gewinner eines so spannenden Pärchens 2023 und 2024, denn die Vielfalt an grandiosen Weinen ist berauschend und so anders: 2023 ist ein Jahrgang, der jedem Genießer den roten Teppich ausrollt. Bei den Top-Domaines kann man hier in der Breite sorglos einkaufen und wird unzählige verführerische Weine finden. 2024 hingegen ist für Insider und für diejenigen, die Puristik suchen, die Kante und Charakter über cremigen Charme stellen. Ein Jahrgang, der die besten Premiers und Grands Crus wieder ins Rampenlicht rückt, denn nur die besten Lagen und Winzer sind hier wirklich groß.









