Lobenberg: Mit dem Jahrgang 2019 hat Aldinger den Chardonnay Reserve mit seiner Lage bezeichnet, in der er ohnehin schon immer wächst. Es ist eine GG-Lage, allerdings ist Chardonnay in Württemberg (noch) nicht als GG zugelassen, daher die Abstufung als Erstes Gewächs. Dieser Chardonnay ist wieder eine von Aldingers Spezialitäten! Hansjörg und Matthias Aldinger fahren eine Handvoll völlig experimenteller Weine. Württemberg ohne Krawatte sozusagen. Welch Talent und Frische die beiden in den Betrieb bringen ist grandios. Denn das Weingut selbst ist nach wie vor die Nummer eins in Württemberg, hätte solch wagemutigen Spielereien nicht nötig. Und gerade deshalb ist es umso beachtlicher, dass hier die besten Weine der Region entstehen und der Wandel vom Establishment ausgeht. Die großen Weine sind immer die Grenzgänger wie der ungeschwefelte Trollinger Sine, der Spitzensekt aus dem Hause, der vermutlich zur Zeit der beste Schaumwein Deutschlands ist, Sauvignon Blanc aus dem Betonei oder diesen abgefahrenen Chardonnay Reserve. Der Chardonnay wird in 500 Liter Tonneaux spontan vergoren und lange auf der Hefe darin ausgebaut, vor der Füllung liegt er noch etwas im Edelstahl. Schöne reduktive Spannung, ein bisschen im Charakter wie es gerade bei der jungen Garde im Burgund oder im Jura sehr angesagt ist. Bitte keinen normalen Chardonnay erwarten, das ist schon ein sehr spezielles Teil, sowas haben Sie aus Württemberg wahrscheinlich noch nicht getrunken. Hoher Spannungsbogen in der Nase, selbst im warmen Jahrgang 2020. Feuerstein, Bleistiftabrieb, irgendwo zwischen Sancerre Silex und Chassagne-Montrachet-Kalk. Wo ist die Frucht? Braucht Aldinger nicht! Auch leicht kreidig-mehlige Anklänge. Im Mund sehr pikant, intensiv, wow, so viel Salz, dass die Augen schmal werden. Nahezu fruchtlos, flüssiger Feuerstein mit Kreide, milde Zitruszesten, Orangenschale. Trotz seiner hohen Energie und reduktiven Spannung ist der Wein auch geschmeidig und zartschmelzend am Gaumen. Hat eine wunderbar ausgewogene Textur, diese Harmonie und Eleganz, die der 2020er Jahrgang eben hatte. Mundwässernd, salzig, griffig, mit toller Gerbstoffstruktur. Dieser flüssige Stein ist für Jura- oder Schäfer-Fröhlich-Trinker sicher ein Heimspiel, alle anderen sollten sich vorher anschnallen. Auch Julian Huber arbeitet mit seinen Chardonnays in diese kargere Richtung. Chardonnay aus Württemberg aber eben ohne Krawatte. Avantgardistisch. 95+/100