Von Michael Teschke

Brief eines Winzers

Winzerstimmen – Michael Teschke

Für uns bei Lobenbergs Gute Weine ist es wichtig, dass wir als Händler eine aufklärende und vermittelnde Position zwischen unseren Winzern und unseren Kunden einnehmen. Deswegen freut es uns ganz besonders wenn wir unsere Winzer direkt zu Wort kommen lassen können.

Wir haben Michael Teschke gefragt, ob er für Sie etwas über seine Philosophie und Arbeitsweise schreiben würde – und seine Offenheit beeindruckt uns. In einem sehr persönlichen Brief lässt der Winzer ganz tiefe Blicke in seine Welt zu.

Der Brief

Lieber Rudolf,
 
ich soll meine Geschichte erzählen, damit man meine Weine als auch meine Person besser versteht und jetzt weiß ich nicht wo ich anfangen soll.

Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es jemanden interessiert, dass ich am 18. 07. 1968 mit einem Purzelbaum aus dem Bauch meiner Mutter heraussprang, so groß war meine Lust aufs Leben damals. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass ich mir mit drei Jahren meinen Großvater zum Vater selbst aussuchte, den ich dann elf Jahre später zusammen mit meinem leiblichen Vater aus dem Gärkeller, über eine endlos lange und steile Treppe bergen musste – wo er gerade zusammen mit meiner Tante erstickt war. Oder, dass ich mit acht Jahren zum Kindersoldaten wurde, als ich mein erstes Luftgewehr bekam und mit Zielfernrohr als Heckenschütze jegliches tierisches Leben auf dem Hof auslöschte – über viele Jahre hinweg.

Glaubst du, es versteht jemand, dass es jedes Mal meine Weine veränderte wenn ich einsam mit meinem Motorrad – nur mit Karte und großem Gottvertrauen – in Laos, entlang der chinesischen Grenze fuhr und mir in Muang Sing mein Opium kaufte?

Oder mir alleine, mit frisch zertrümmertem Fuß, ohne Sprachkenntnisse im birmanisch-thailändischen Grenzgebirge, nur mit einer von Einheimischen auf DIN-A5 gemalten Skizze 80 bis 100 Kilometer auf Pisten, Pfaden und über Pässe mit dem Moped den Weg durch die Berge suchte?

Nein, ich glaube nicht. Deshalb erzähle ich nur die Weinbau-Geschichten, denn heute will man sowieso nur noch den »Sylvaner-Papst« verstehen. Der Mensch Michael Teschke scheint tatsächlich uninteressant. Denn niemand fragt mich wie oft ich weinen muss und ob ich heute schon gelacht habe.
 
Aber dir kann ich ja alles erzählen, denn du weißt genau wovon ich spreche und plauderst es auch nicht rum.
 
Mein Leiden begann 1995, als ich mein Schwert gegen ein Pflugschar tauschte und als ausgebildeter Offizier der Deutschen Infanterie und Zugführer eines Jägerzugs eine Winzerlehre begann. Meine vielen Fragen konnte mir damals keiner beantworten. Dafür war ich der permanenten Schikane meiner Lehr(h)e(r)rin ausgesetzt. Ich revanchierte mich täglich damit, dass ich ihr zum Mittagessen in die Milch spuckte. Mal zuerst die Spucke und dann die Milch. Manchmal auch umgekehrt, wenn sie besonders bösartig gewesen war – also die Spucke oben drauf. Es war ein Experiment, denn ich erhoffte mir durch die gespendeten Enzyme Mäßigung im Umgang mit mir – es trat nie ein. Immerhin lernte ich dort Sylvaner kennen und dessen Wert. Denn allzu oft trank ich bis zum Mittag heimlich eine oder auch mal zwei Flaschen, um meinen Zustand dort zu ertragen.
Jedenfalls fand ich dort meine Sylvaner-Idee. Unseren ältesten Sylvaner-Weinberg zu Hause erzog ich ab 1997 in die Merz’sche Reberziehung um und habe heute den letzten Weinberg auf der Welt, der in dieser Erziehung praktiziert wird.

Im Januar 1998 hatte ich dann das zweifelhafte Vergnügen meinen leiblichen Vater über 45 Minuten reanimieren zu müssen, bis dann endlich der Notarzt kam – ich übergab ihm eine tote Hülle, denn seine Seele hatte ich bei der Herz-Lungen-Wiederbelebung in mich eingeatmet. Ich war seitdem nie mehr an seinem Grab, denn ich trug ihn ja in mir!
 
Bitte entschuldige die Flecken auf dem Papier, aber ich muss gerade weinen.

Im Jahr 2000 schloss ich meine Winzerausbildung mit dem Weinbautechniker ab – morgens war ich in der Schule, hörte zu und plante meine eigene Reberziehung aus dem gerade Gelernten, setzte es mittags im Weingut um und lernte nachts für den nächsten Schultag. Alles allein mit meiner Mutter, denn wir hatten kein Geld und der Liter Fasswein kostete 30 Pfennig. In diesem Sommer heiratete ich meine erste Frau, mit dem Wunsch eine ordentliche Familie zu gründen, aber trennte mich nach 5 Jahren wegen ihrer chronisch psychischen Erkrankung. Es kam bald die zweite Ehe, doch die war genauso ein Segen und dann stand ich 2009 nach zweiter Scheidung vor dem Nichts denn beide nahmen tüchtig mit und hinterließen nichts, außer einem schalen Geschmack im Mund – sogar meine eigene Spülmaschine wurde mitgenommen.
 
Interessiert’s dich überhaupt? Ok, dann mache ich weiter.

In der gesamten Zwischenzeit glaubte, außer meiner Mutter und mir, kaum einer an meine Idee; und meine Versuche Mitstreiter zu finden scheiterten immer an Dornfelder, Grauburgunder und Riesling als auch an der antagonistischen Einstellung renommierter Verbände meiner Region.
Es wurde mir immer vertrauter, was ich mit schon drei Jahren begonnen hatte. Ich wurde mir selbst zum Vorbild, denn nach wie vor blieben meine Fragen unbeantwortet. Fragen, die ich stellte als ich Sachverhalte – meist im Weinberg – entdeckte, die mir bei der Durchführung viel viel zu spät erledigter Arbeitsgänge auffielen. So wurde ich zum Autodidakt und fing 1997 an mein Sylvaner-Leben täglich aufzuschreiben, was ich bis heute erhalten habe – ansonsten habe ich viel verändert.
2006 baute ich dann in Mainz eine 30 mal 15 Meter große, aus Stein und Stahl gefertigte Halle eigenhändig und vollständig ab, fuhr sie mit meinem Unimog und Wagen auf den Laurenziberg und spielte dann 2007 damit Tetris!

Zeitgleich baute ich meine Zisterne, aus dem Wunsch heraus eigenes, heiliges Wasser herzustellen, obwohl ich damals über ökologischen Weinbau die Nase rümpfte, selbst konventionell spritze und doch bereits im Herzen Biodynamiker war. Ich reduzierte mit diesem Wasser den Einsatz von organischen Fungiziden von 10 auf nur noch 4 Spritzungen und wollte noch weniger, also schädigen, denn mittlerweile sprachen bereits die Schnecken mit mir und beeinflussten meinen Pflanzenschutz. Disteln flüsterten mir leise Warnungen ins Ohr und Schmetterlinge tanzten im selben Moment um mich herum – alles, weil ich immer zu spät dran war und noch alles drin war – im Weinberg. Unkraut zu hoch, nie ausgebrochen, Anfang Juli usw..
 
Sag mal, ich langweile dich doch nicht?

Ein paar Dinge haben sich jedenfalls nicht verändert, denn ich schneide immer noch alle Reben alleine. Ich biege und hefte meine Weinberge zusammen mit meinem Freund. Ich breche die Reben aus, erledige die gesamten Maschinenarbeiten ohne Hilfe, genauso wie sämtliche Spritzungen. Ich verkaufe jede Flasche Wein selbst. Wenn man genau hinsieht, findet man auf jeder Pulle den Abdruck meiner linken und rechten Hand, weil ich persönlich jede Flasche eigenhändig befülle und seit 1999 keine Flächen mehr dazugenommen habe. Du glaubst mir doch, oder?

Ehrlich, wenn du dir die Mühe machst und meine Bücher vergleichst, dann muss dir einfach auffallen, dass ich seit 18 Jahren dieselbe Handarbeit im selben Weinberg erledige. Über alle Jahre hinweg, mit einem Unterschied von ein bis zwei Tagen vielleicht – oft am gleichen Tag. Lebe ich eigentlich noch einen eigenen Rhythmus oder bin ich fremdbestimmt?
Egal, denn ich spüre die Energie, die ich freisetze und zulasse, und ich liebe sie, so wie ich mein Luftschloss liebe; meine kleine, wunderbare Welt, die ich mir geschaffen habe; ein Gewand, das nur mir passt; die mich und mein Tun von so vielen anderen unterscheidet.

Darum bleibe ich auch klein, denn das was ich tue lässt sich nicht beliebig vervielfältigen, sonst bleibt keine Zeit für Regenwurm-Tage – wenn wir im Mai nach Regen Tausende von Regenwürmern von der Straße tragen, damit sie nicht überfahren werden. Wenn ich alte Schnecken über den Weg geleite sowie Sonnenblumen von Hand gesät werden. Samen für Samen, als Ausgleich für die Monokultur und zur eigenen Düngerproduktion. Es bleibt dann auch keine Zeit für meine täglichen, morgendlichen Spaziergänge um 5 Uhr, wenn ich mit meinen Sandalen und Füßen die Taunässe einfange und anhand dessen meine Ökomittel für die nächsten Spritzungen dosiere. Die allabendlichen Rundgänge nach der Arbeit durch die Weingärten, wo ich mich versichere, dass es funktioniert hat. Die lustigen und lehrreichen Gespräche mit den Schnecken und kleinen Pflanzen, die mir von der Nacht erzählten, als ich noch schlief. Ich höre auch nicht den Schrei des Milans im Luftgefecht mit den vier Krähen vom Dünnbach.

Ich glaube, deine Augen werden kleiner. Ich höre auch gleich auf, obwohl ich dir noch nicht von dem vielen Weinen, sei es aus Hass, Trauer, Verzweiflung oder Müdigkeit erzählt habe – oder von meiner Angst. Keine Sorge: Angst habe ich nicht mehr, nie mehr, nicht mal vor dem Sterben – das hatte ich schon zu oft in der Hand; genauso wie die Schmerzen, wenn andere bemerken wie sehr ich blute.
Jetzt habe ich doch glatt meine Gedichte vergessen. Naja, die lese ich dir beim nächsten Mal vor. Und meine Reisen sind ja auch noch nicht dabei, auf denen ich die Zeit nutze einen der merkwürdigsten und wunderbarsten Menschen dieser Erde zu berühren – mich.
Alles andere zu Themen wie Ökoweinbau und Zertifikate (übrigens: Zertifikate sind der Brudermord der Individualität, was du sicherlich schon weißt, als auch meine Einstellung zu staatlichen Prämien und Zuschüssen) erzähle ich dir nächstes Mal.
Nur das hörst du dir noch an, bevor ich gleich Reben streicheln gehe:
 
Ich hatte eine Vision. Jetzt habe ich eine Mission. Der Sylvaner ist mein Weg. Aber ich glaube nicht, dass das viele interessiert.

Glaubst du wirklich, dass man mich jetzt besser versteht, und glaubst du ich bin allein oder ist noch jemand da draußen?
 
Dein Michel vom Laurenziberg

Zu den Weinen von Michael Teschke

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