Das Mini-Boutique Weingut Salvioni ist völlig unauffällig mitten im Ortskern von Montalcino gelegen. Der Keller ist sogar so mit den Häusern der Stadt verschmolzen, dass man – selbst wenn man die genaue Adresse kennt – beim ersten Besuch dennoch etwas suchen muss, um den Eingang nicht zu übersehen! Diese Weinlegende ist in allen Belangen eben total »low-key«, es gibt kein Eingangsschild und kein Marketing. Beides ist offensichtlich nicht nötig, denn die jährliche kleine Zuteilung an Flaschen wird für gewöhnlich von Insidern weggeschnappt.
Die Verwirklichung einer Vision
Giulio Salvionis Vater war zwar im Besitz eines Weinguts, aber die Produktion war lediglich für den Eigenbedarf bestimmt und ging nie in den Verkauf. Das Weingut La Cerbaiola wurde offiziell mit dem Ausnahme-Jahrgang 1985 vom visionären Giulio gegründet. Der Autodidakt arbeitete damals hauptberuflich für das italienische Gesundheitsamt, seine Frau Mirella war Krankenschwester. Von 1,5 Hektar Rebfläche der Parzelle »Cerbaie« wurde im ersten Jahrgang ein einziges großes Botte gemacht und 2.500 Flaschen abgefüllt. Die Lage zeichnet sich durch ein ganz besonderes, etwas kühleres Mikroklima aus. Sie steht in über 400 Höhenmetern auf dem für die Region typischen Galestro-Boden, einer Mischung aus Kalkstein und Schiefer.
Im Herzen des großen Terroirs
Ende der 1990er wurde ein zweiter Weinberg gepflanzt und die jüngsten Reben des Weinguts kamen im Jahr 2000 dazu. Bis heute gehören insgesamt lediglich vier Hektar Rebfläche im Südosten von Montalcino, im Val d’Orcia, zum Besitz. Die Weinberge liegen in Richtung der Ortschaft Torre Neri und des pittoresken San Quirico d’Orcia – hier sind wir im absoluten Herzstück des besten Brunello-Terroirs überhaupt. Der Ertrag pro Hektar ist klein und liegt durchschnittlich nur knapp über 20 Hektoliter pro Hektar.
Drei Generationen im Einklang
Giulio Salvioni ist ein echtes Unikat, sein Weingut genießt ob seiner Besessenheit für Qualität und Perfektion mittlerweile seit Jahrzehnten Kultstatus. Mittlerweile wird das Weingut Salvioni hauptsächlich von seinen Kindern Alessia und David geführt. Alessias Tochter Sofia packt ebenfalls bereits tatkräftig mit an. Hier wird nämlich sogar noch von Hand etikettiert!
Der Inbegriff der Tradition
Der Ausbau erfolgt nach der traditionellen, langen Maischestandzeit von etwa 25 bis 30 Tagen im Edelstahl in großen Botti (Holzfässer von 18 bis 22 HL Fassungsvermögen). Der Rosso di Montalcino von Salvioni könnte auch als Brunello abgefüllt werden, aber die Familie befriedigt mit diesem Wein eine italienische Tradition und füllt das am frühesten zugängliche Fass bereits nach einem Jahr ab. Salvioni Brunello ist der Inbegriff für Sinnlichkeit, Konzentration und Finesse. Eine derart burgundische Komplexität und Samtigkeit findet man ansonsten vielleicht noch in den Weinen von Soldera. Die Tannine sind in den besten Jahrgängen von samtiger Textur und geben dem Wein dennoch Präsenz und vibrierenden Nachdruck.
Die Probe im kleinen Keller bei Salvioni ist immer etwas ganz Besonderes. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem gut hinter der Piazza Camillo Benso versteckten Weingut sogar um den kleinsten Keller in Montalcino. Hier stehen fünf große 52 HL fassende Botti aus slawonischer Eiche, drei links, zwei rechts. Acht weitere lagern in einem externen Keller. Das Spannende bei einem Besuch der Weingüter Montalcinos ist die Möglichkeit, mindestens zwei bis drei Jahrgänge miteinander aus dem Fass vergleichen zu können. Im Traditionsweingut Salvioni ändert sich zudem nicht wirklich viel von Jahrgang zu Jahrgang – perfekte Voraussetzungen also, um den Eigenschaften jedes Jahrgangs im Glas auf den Grund zu gehen. Wir beginnen mit 2023, dem momentan jüngsten Jahrgang, der erst seit wenigen Monaten im großen Holzfass ruht. Hier habe ich einen der feinsten Brunelli im Glas, die ich je probiert habe. Immerzu denke ich an zarten und verspielten Vosne oder Chambolle aus einem kühleren Jahrgang. Rote Kirschen mit Spannung und Salzigkeit gleiten über die Zunge, dabei vibriert der Wein vor Frische im Mund – mehr Eleganz und Feinheit gibt es nicht in Montalcino. Das komplette Gegenstück dazu ist der muskulöse 2022er. In dem warmen Jahr regnete es in einem ansonsten sehr trockenen Sommer erst im August wieder. Das Ergebnis ist komprimierte und konzentrierte Frucht und Intensität – die Salvioni-Eisenfaust im Samthandschuh. 2021 haben wir hier mit dem druckvollen, kräftigen und intensiv strukturierten Brunello den Nachfolger des mineralischen Ausnahme-Jahrgangs 2019. 2020 ist bei Salvioni ein unglaublich schicker, hedonistischer und saftiger Jahrgang, der mit seiner verführerisch zugänglichen Frucht und floralen Aromatik bezaubert.