Lobenberg: In den Castiglione fließen alle Crus ein, die zu klein sind, um separat vinifiziert zu werden. Vietti ist sicher das Gut mit den meisten Parzellen und Einzellagen und man könnte die heute bestehenden fünf Einzellagenweine problemlos auf zehn oder mehr ausweiten. Aber irgendwann würde es unübersichtlich werden, daher gehen alle anderen, vom Ausmaß kleineren Crus, in den Castiglione. Deshalb muss man diesen Castiglione ganz besonders hervorheben. Es ist ein Wein auf potenziellem Top-Punkte-Niveau, der aber fast zu einem Schnäppchenpreis auf den Markt kommt. Das Gros der Trauben kommt aus zehn der elf Gemeinden, die Barolo abfüllen dürfen, obwohl sich der Name des Weins anhört, als käme er aus Castiglione. Etwa 25 Lagen gehen hier insgesamt hinein. Ginestra, Bricco Boschis, Brunate, Ravera sind die Qualitätskomponenten dieses Weins. In Jahren, in denen kein Villero gemacht wird, kommt selbst der hier rein! Zu 90 Prozent in Botti und gebrauchten Barriques ausgebaut. Das ist hier eher eine Platzfrage – was nicht in die Botti passt, kommt ins Barrique. Leuchtendes Rubinrot mit einem Hauch Orange. Eine würzige Nase mit gebranntem Ton, duftigen, gefallenen Blättern, Herbstwald. Auch Vanille, Muskatnuss und zarte Holzaromen sowie eine leichte Rauchigkeit schwingen mit. Und dann kommt Orangenschale, selbst etwas Orangensaft! Im Mund präzise rote Frucht mit Sauerkirsche und sogar rote Johannisbeeren. Dieser Castiglione ist im grandiosen Jahr 2019 so druckvoll, so klar und so phänomenal gut, dass mir die Spucke weg bleibt. Die Tannine sind fein strukturiert, wie wenn man rote Johannisbeeren isst. Aber die Länge diese Weins ist einfach nur beeindruckend. Das ist eigentlich der Einstiegsbarolo für Vietti, aber ein Wein, der mit den Großen mithalten kann. Ich bin schon sehr beeindruckt! Ein Hedonismus-Wein, der Trinkigkeit verspricht. Bitte geben Sie dem 2019er aber ein paar Jahre im Keller. Er hat eine grandiose, klassische Struktur und wird mit etwas Flaschenreife noch grandioser werden. Einer der allerbesten Ortsweine und viel Winzer wären sehr stolz diese Qualität als Top-Cru zeigen zu können. 96+/100
Der Jahrgang 2019 ist im Piemont wie auch in vielen anderen Regionen Europas ein magisches Jahr der Perfektion, er wird als klassischer Jahrgang hoch gelobt und im selben Zuge auch hoch bewertet. Viele Winzer vergleichen den Jahrgang mit dem Weltklasse-Ausnahme-Jahrgang 2016, besonders wegen der Tannindichte, Konzentration und Power der Weine. Den entscheidenden Unterschied zu den 2016ern macht aber die Balance der vielen dichten Tannine mit der wollüstigen Frucht, die süßer und saftiger ist als in den 2016ern. Die vibrierend frische, ausgleichende Säurestruktur der Weine sorgt für die ultimative, herausragende Balance. Der hohe Anteil an Polyphenolen bringt dabei vor allem bei Nebbiolo eine gesund leuchtende Farbe hervor, die tiefer und intensiver ist als in den Vorjahren. Im Grunde genommen haben die 2019er den Genuss-Regler lauter aufgedreht als die 2016er, sie sind eine hedonistische Version dieses klassischen Jahrgangs. Trotz all der Saftigkeit und Balance werden die Weine aber einige Zeit brauchen, um in ihr ideales Trinkfenster zu kommen, frühestens ab 2025, idealerweise ab 2028 geht’s los. Die Topweine haben das Zeug dazu, locker 20 und mehr Jahre im Keller zu reifen. Sie sind stramme, elegante Marathonläufer.