Lobenberg: Alessandra Divella ist für Franciacorta das Äquivalent eines Spitzen-Winzerchampagner-Produzenten. Die Geschichte der Quereinsteigerin ist absolut sensationell, meiner Meinung nach ist sie ein Genie! Sie hat nie Önologie studiert, sondern hat sich ihr Wissen mit Hilfe von Büchern selbst angeeignet und dann experimentiert und gelernt. Übrigens steht hier nicht »Franciacorta« auf der Flasche, weil Alessandra sehr stolz auf ihre Weinberge in den Höhenlagen des Örtchens Gussago ist. Genau genommen gehört der Ort zur Appellation Franciacorta, aber man kann diesen Stoff natürlich nicht mit »klassischen« Franciacorta aus den hauptsächlich flachen Tallagen vergleichen. Wie die Solera des Weinguts ist auch dieser Nere ein absoluter »Unicorn Wein« und das Zeug, von dem man als Weinfreak träumt. Leider geht es noch strenger zugeteilt wohl kaum. Mit viel Charme konnte ich Alessandra dazu überreden, mir 12 Flaschen für den gesamten deutschen Markt zu geben. Nere wurde aus 100 Prozent Pinot Noir gemacht. Nach dem anschließenden Ausbau in gebrauchten Barriques folgt die traditionelle Flaschengärung. Der Wein blieb 96 Monate (yes, ganze acht Jahre!) auf der Feinhefe, bevor er im September 2023 degorgiert wurde. Wie für alle Weine von Alessandra Divella empfehle ich ein Weißwein- oder Burgunderglas, um die volle Aromenpalette wahrnehmen und genießen zu können. Tiefes Goldgelb. Die Nase ist würzig und faszinierend. Hier ist nichts laut, sondern der Wein ist von Feinheit und Vielschichtigkeit geprägt, er erinnert mich eher an einen gereiften Burgunder, oder sogar an einen Weißwein aus dem Jura, als an einen Champagner. Ultrafeine Kräuteraromen, purer Kalkstein und Gesteinsmehl, Muskatnuss und brauner Pfeffer, etwas Käserinde, ja sogar gereifter Comté! Alle würzigen Aromen sind so fein, so zart und so wunderbar elegant. Der erste Schluck und meine Augen sind weit aufgerissen! Wow, wo kommt diese geballte Intensität her? Salzige Präzision! Zitrone, gelbe Äpfel, frische, zartbittere Gartenkräuter, etwas Zitronenmelisse. Auch im Mund ist das eher ein Chablis als ein Champagner, der langsame Ausbau auf der Hefe kommt durch erste Aromen der Flaschenreife zum Tragen. Die klirrende Frische, auf die man sich bei Alessandra Divella verlassen kann, sorgt für grandiose Balance und Spannung. Klar sind wir hier im Preisbereich eines gehobenen Champagners, aber Alessandra Divella gehört zu den spannendsten Schaumweinerzeugern überhaupt. Glücklich ist, wer überhaupt eine der wenigen Flasche kaufen kann. 97/100