Lobenberg: In den Castiglione fließen alle Crus ein, die zu klein sind, um separat vinifiziert zu werden. Vietti ist sicher das Gut mit den meisten Parzellen und Einzellagen und man könnte die heute bestehenden fünf Einzellagenweine problemlos auf zehn oder mehr ausweiten. Aber irgendwann würde es unübersichtlich werden, daher gehen alle anderen, vom Ausmaß kleineren Crus, in den Castiglione. Deshalb muss man diesen Castiglione ganz besonders hervorheben. Es ist ein Wein auf potenziellem Top-Punkte-Niveau, der aber fast zu einem Schnäppchenpreis auf den Markt kommt. Das Gros der Trauben kommt aus zehn der elf Gemeinden, die Barolo abfüllen dürfen, obwohl sich der Name des Weins anhört, als käme er aus Castiglione. Etwa 25 Lagen gehen hier insgesamt hinein. Ginestra, Bricco Boschis, Brunate, Ravera sind die Qualitätskomponenten dieses Weins. In Jahren, in denen kein Villero gemacht wird, kommt selbst der hier rein! Zu 90 Prozent in Botti und gebrauchten Barriques ausgebaut. Das ist hier eher eine Platzfrage – was nicht in die Botti passt, kommt ins Barrique. Leuchtendes Rubinrot. In der Nase haben wir reichhaltige, saftige rote Kirschfrucht mit Veilchen, Rosenblüten und sogar etwas schwarzer Johannisbeere – ein Aroma, das ich in Nebbiolo eher selten finde. Die schwebende, zarte Würze vom Holzausbau trägt zur Finesse des Weins bei. Ein Hauch Orangenschale und ätherische Kräuter kommt beinahe schüchtern und zaghaft hinterher. Im Mund haben wir hier fein strukturierte, präsente Tannine. Sie sind fein poliert und rund, aber in so großer Stückzahl vorhanden, dass sie im Moment etwas trocken wirken. Die Tannine haben rote, präzise Kirsch- und Beerenfrucht und krass viel Würze und weiße Blüten im Schlepptau. Saftig, kräutrig und linear strukturiert. Das ist eigentlich der Einstiegsbarolo für Vietti, aber zugleich ist es ein Wein, der mit den Großen mithalten kann. Ich bin schon sehr beeindruckt! Ein Hedonismus-Wein, der Trinkigkeit verspricht. Er braucht im Jahrgang 2020 ein paar Jahre Flaschenreife, um die vielen Tannine voll zu integrieren. 94+/100
Der Jahrgang 2020 ist der Mittlere einer Trilogie herausragender, großer Jahrgänge im Piemont. Im Weinberg waren die Konditionen des Bilderbuch-Jahrgangs absolut perfekt. Während der Wachstumsperiode wurden die Reben mit ausreichend Regen versorgt, die Temperaturen waren im Sommer warm und ausgeglichen, ohne Hitzespitzen. Ab September sorgten die kühlen Nachttemperaturen für das langsame, gleichmäßige Ausreifen der Trauben – also hervorragende Voraussetzungen. Wenn man den Jahrgang mit nur einem Wort beschreiben müsste, wäre es »Balance«. Die besten 2020er Nebbiolo Weine sind mit unendlich dichter, manchmal beinahe überwältigend intensiver, umwerfend attraktiver, saftiger, vibrierender, roter Frucht ausgestattet. Sie haben viele, dafür aber unendlich feine, rund polierte Tannine, die harmonisch in diese opulente »Fruchtwelle« integriert sind, ihre rassige Säure verleiht den Weinen neben diesem Tanningerüst zusätzlich ein vielversprechendes Reifepotential. Ob ihrer reifen Frucht werden die 2020er Baroli und Barbaresci dennoch vor den noch intensiver und klassischer strukturierten 2019ern und auf jeden Fall vor den 2016ern in ihr Trinkfenster kommen. Das Barolo Consortium vergleicht 2020 mit dem Jahrhundertjahrgang 2016, aber die Weine haben genuss-technisch sogar noch mehr auf dem Kasten, denn sie erreichen eine traumhafte Kombination aus der ultra-hedonistischen Frucht des Jahrgangs 2018 mit der phänomenalen, klassischen Struktur des Jahrgangs 2019. 2020 ist also »The best of both worlds«.