Lobenberg: Seit 2020 ist der Vogelsang ein GG, eine relativ neue Lage im Christmann’schen Portfolio. Das ist ein sehr renommierter, tradierter Weinberg mit einem spektakulären Ausblick über Neustadt. Muschelkalkboden auf 240 Metern Höhe, direkt über der Stadt gelegen. Steffen Christmann hat diese Lage auf 30 Jahre gepachtet. Das ist nach dem Weingut Odinstal die zweithöchste Lage an der Mittelhardt. Die Reben sind um die 35 bis 40 Jahre alt. Der Weinberg wurde unter Christmann sofort biologisch-dynamisch bewirtschaftet und hat seit dem Jahrgang 2019 auch die entsprechende Zertifizierung. Die Besonderheit ist der 150 Millionen Jahre alte Kalkboden im Vogelsang, sehr viel älter als die Kalkschichten in Königsbach, die „nur“ 50 bis 60 Millionen Jahre alt sind. Die Nase des Vogelsang ist extrem kristallin, steinig, etwas wilder als die des ruhigen Idig und des charmanteren Ölberg-Hart. Es hat mehr positive Expressivität hier im Vogelsang, mehr Aufregung, ein ganz feines Spiel aus einer facettenreichen Zitrusaromatik, Kreidestaub, zeigt nur wenig Frucht aktuell. So leise und feinsinnig wie die Nase ist, so druckvoll und konzentriert kommt der Mund. Hoch verdichtet und kompakt, sehr intensiv, lang, schiebend aus der kühlen Mineralität mit viel Steinigkeit. In dieser kraftvollen, aber total feinen und eleganten Art ist der Vogelsang immer deutlicher erkennbar ein Christmann. Letztes Jahr war er etwas wilder, dieses Jahr ist er schon sehr geschliffen und schick. Kühl, salzig und sehr lang, sehr intensiv, alles vereinahmend. Es dürfte nicht mehr lange dauern, da kann der Vogelsang vielleicht dem Idig Konkurrenz machen in Sachen Größe, aber wirklich konkurrieren werden sie nie, denn ihre Charaktere sind völlig unterschiedlich. Der Vogelsang ist einfach ein grandioser Weinberg. 96-98+/100
Mit den letzten Jahrgängen im Hinterkopf antizipierten die Winzer wie gewohnt einen eher trocken-warmen Witterungsverlauf. Doch 2021 machte recht schnell klar: nicht mit mir! Austrieb und Blüte waren bereits von ungewöhnlich nordisch-rauem Wetter begleitet und im Vergleich zu den Vorjahren »relativ spät« – im langjährigen Mittel also quasi normal. Die meisten deutschen Weinberge blieben von Frost verschont. Die recht harsche Witterung sorgte jedoch nahezu überall für Ertragseinbußen durch die windige, verregnete und dadurch unregelmäßige Blütephase. Der darauffolgende Sommer brachte zunächst keineswegs die Wende. Dramatisch konzentrierte Sommerniederschläge setzten der vorherigen Trilogie der heiß-trockenen Jahre ein jähes Ende und machten den Pflanzenschutz 2021 zu einer Sisyphusarbeit. Die Topwinzer haben 2021 Marathondistanzen in den Weinbergen abgeleistet, um der Situation Herr zu werden. Durch den zusätzlich hohen Personaleinsatz ist es in der Produktion für viele eines der teuersten Jahre aller Zeiten. Ein Glück, dass der Riesling als adaptierte Nord-Rebe stoisch in Wind und Wetter steht wie ein Islandpferd. Denn im Grunde wurde im Herbst immer klarer: Wenn man im Sommer richtig Gas gegeben hat, konnte das noch ein unglaublich starker Jahrgang werden – und so kam es dann auch. Nach diesem echten Cool-Climate-Sommer, der bis Ende August anhielt, retteten der September und ein Goldener Oktober den Weinjahrgang dann fast im Alleingang. Ein stabiles Hoch über Mittel- und Osteuropa sorgt für dieses seit Jahrhunderten bekannte Phänomen. Die Sonnenscheindauer ist gegen Oktober mit noch immer über 10 Stunden sehr hoch, dafür ist die Tag-Nacht-Amplitude schon viel ausgeprägter als noch im August. Da die Nächte länger werden, kann die Luft in Bodennähe stärker auskühlen. Das sorgt für eine langsame Ausreifung bei langer Hangzeit am Stock und trotzdem stabil bleibenden Säuren. Gerade der Riesling liebt das besonders, aber auch die Burgundersorten brillieren mit kühler Frische. Denn 2021 ist ein so spannendes, krachendes und zugleich kristallines Weißwein-Jahr, wie wir es lange nicht mehr hatten. Wer keine Angst vor berauschender Frische hat und sich gerne von hoher Spannung aus der Kurve tragen lässt, der wird mit 2021 seine größte Freude haben. Alle anderen sollten sich besser an die gar nicht so unähnlich gebauten, aber etwas freundlicheren 2020er halten.