Von Heiner Lobenberg

Chablis top – down

Wer erinnert sich noch an die Verfilmung des Musicals »My Fair Lady« kongenial in Szene gesetzt von George Cukor? Vor allem an die Szene, in der der liebenswürdigen Rabauke Alfred Doolittle bevor er sich unters Ehejoch begab mit seinen Kumpels noch einmal richtig einen drauf machte. Seiner eigenen Zurechnungsfähigkeit schon nicht mehr trauend bat er sie noch: »Bringt mich pünktlich zum Altar!« und räsonierte bekümmert »Ssssofiiel Snapps gibbs in London ....«  vom selben schon rechtschaffen gezeichnet »... wie sssollich dass in den paar Schtundn noch schaffn ....«.

So wie der gute Doolittle fühlt man sich als Weinliebhaber auch ein ums andere Mal. Sooo viel Wein gibt es auf der ganzen Welt und die Menge der Weine, die man nicht probieren und genießen kann, wird immer größer. Wann soll man die nur alle trinken? Zumal Wein ja auch die leider nicht weg zu diskutierende Eigenschaft hat, in Mengen genossen, der Gesundheit eher abträglich zu sein. Und nach einer bestimmten Menge sind auch die feinste Zunge und die beste Nase nicht mehr in der Lage, einen Montrachet von einem Montsant zu unterscheiden.

Noch nicht einmal innerhalb eines Anbaugebietes kann man alle Weine durchprobieren. Es sei denn, es handelt sich beispielsweise um das provenzalische Bellet. Die ca. 30 Winzer kann man schaffen. Lohnt sich übrigens. Falls Sie mal vor Ort sein sollten. Verlassen Sie Nizza Richtung Menton und folgen Sie der Route de Bellet. Außerhalb des Nizzaer Stadtgebietes findet man diese Weine so gut wie nirgendwo.

Ich schweife ab. Außerdem weiß ich für dieses Problem auch keine Lösung.

Das einzige, was hilft, …

… ist, einfach immer wieder mal etwas Neues zu probieren. Ein neues Anbaugebiet entdecken, einen Winzer, dessen Weine man noch nie probiert hat, oder eine Rebsorte, um die man aus welchen Gründen auch immer bislang einen Bogen gemacht hat. Da bieten sich dann meistens Rebsorten wie Trollinger oder Gutedel an. Also einfach mal raus aus den alten Gewohnheiten! Oder man fragt den Weinhändler seines Vertrauens: »Packen Sie mir doch mal eine Flasche dazu, von der Sie meinen, dass sie mir wohl gefällt oder dass ich diesen Wein einmal getrunken haben sollte!« So habe ich schon viele wunderbare Weine kennengelernt, übrigens auch den Calendal (Sie erinnern sich?).

Bei der Gelegenheit fällt mir gerade wieder einer der Sprüche ein, bei denen gestandene Sommeliers sehr an ihre gute Kinderstube denken müssen, um nicht mit der Weinkarte oder dem Korkenzieher um sich zu werfen: »Chardonnay trinke ich nicht! Mag ich nicht! Aber Chablis, den mag ich!« Ihnen muss ich den Fehler ja nicht erklären, oder?

Wer bisher aus welchen Gründen auch immer noch nicht dazu gekommen ist, sich mit Chablis näher zu befassen (soll es ja geben. Ich kenne Leute, die sind ihr Lebtag über Rheingauriesling nicht hinausgekommen und immer noch nicht damit durch), dem rate ich, was ich in solchen Fällen immer rate: Nähere Dich Wein top – down. Fange ruhig mit einem hoch klassifizierten, sehr gut bewerteten und – manchmal darf es ruhig ein bisschen mehr sein – teureren Wein an. Mit der Benchmark sozusagen. Später, wenn Du Dich ein wenig besser auskennst, dehne die Suche aus, Du weißt dann, welcher Maßstab anzusetzen ist. Wie der Wein sein sollte.

Um beim Chablis zu bleiben

Da wäre der 2012 Chablis Grand Cru »Le Clos« von Patrick Piuze eine sehr gute Wahl. Natürlich kommen an dieser Stelle so sicher wie das Amen in der Kirche nörgelige Gesinnungskrokodile auf den Plan und rufen »Kindermord!« So ein Wein, der solle erst mal 10 Jahre liegen und dann zeige der erst seine ganze Klasse. Irgendwo haben sie natürlich Recht, aber ein Wein, der in 10 Jahren richtig gut ist, der kann ja wohl heute nicht schlecht sein. Und man möchte doch schon einmal eine Ahnung davon bekommen, was einen für Genüsse in den nächsten Jahren erwarten. Was natürlich bedeutet, dass man sich davon besser mehr als eine Flasche hinlegt. Denn in 10 Jahren gibt es den 2012er sicher nicht mehr. So viele Flaschen werden davon ja nicht produziert.

Und jetzt gieße ich diesen wunderbaren Wein ins Glas, freue mich an seiner elegant gelben Farbe mit goldenen und grünen Reflexen und rieche diesen zauberhaften Duft, der aus dem großen Glas steigt. Was das Glas angeht, so empfehle ich ein großes, so eines, das man auch für einen hochwertigen Pinot Noir nehmen würde, so ein Burgund-Flagship (vulgo: Goldfischglas).

Duft von frischen Kräutern, saftig-sauren Früchten wie Stachelbeeren und grüne Mirabellen steigt auf, dazu eine leicht mineralische Note, nicht so intensiv und dominant wie die oft schweflig-mineralische Feuersteinnote großer Burgunder, zarter, eher angedeutet als ausformuliert. Später legt sich eine florale Note, frisch aufgeblühte Pfingstrose, über die Frucht.

Im Mund zeigen sich sowohl die Verwandtschaft mit den großen Montrachets als auch die Unterschiede. Schmelzig und doch straff am Gaumen, elegant wie ein Puligny und komplex, dabei mit einem ganzen Korb voller heller Beeren und Früchte spielend: Limette, Mirabelle, Stachelbeere, weiße Johannisbeere. Geschliffen und dicht im Mund. Daneben salzig, John Gilmans Assoziation von leeren Austerschalen kann ich gut nachvollziehen, etwas Kalk, ein wenig Meersalz verbunden mit einer klaren Frische. Am Gaumen zeigt sich die Mineralnote klarer, definierter, ausdrucksstärker. Ein Monolith! Je länger man trinkt, desto dichter und intensiver werden die Aromen.

Die önologische Binsenweisheit, dass die Qualität eines Weines vor allem an der Länge seines Abganges zu messen sei, wird hier auf das Beste bestätigt. Die Welle von Frucht, Gewürz, Mineral füllt Mund- und Rachenraum aus und ist auch nach Minuten noch präsent.

Wow! So kann Wein sein. So muss Wein sein. Breathtaking, sagt man in England, was viel passender klingt als atemberaubend. Und in 10 Jahren sehen wir uns dann wieder!

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