Zur Verdeutlichung seiner Ausnahmestellung ein kleines Schlüsselerlebnis: Auf unsere Frage in der Kellerei Angelo Gajas, wer denn wohl den besten Barolo überhaupt erzeuge, wurde uns einhellig Roberto Voerzio genannt. Und diese Aussage bekommen Sie in gleicher Form von fast jedem Erzeuger im Piemont. Das kommt nicht von ungefähr, ist Roberto doch der penibelste Arbeiter im Weinberg, er erzeugt die geringsten Erträge des gesamten Piemont, deutlich unter 15 Hektoliter pro Hektar selbst für Dolcetto und Barbera. Im Keller ist er ein biologischer Purist. Alle seine Weine gehören folglich zu den besten in der gesamten Region. Und all das hat sich Roberto, inzwischen zusammen arbeitend mit seinem Sohn Davide und dem ebenfalls sehr idealistisch veranlagtem Mitarbeiter Cesare, allein erarbeitet. Er trennte sich schon ganz jung von seinem Bruder Gianni, der dann das väterliche Weingut allein weiterführte. Zu unterschiedlich waren der »Normalo« Gianni und der »Qualitätsfetischist« Roberto, als dass hier eine Gemeinsamkeit möglich gewesen wäre. Inzwischen ist der immer noch extrem jugendlich wirkende, und körperlich/geistig ungemein fitte Roberto 60 Jahre alt. Mühsam erwarb er aus dem Nichts im Laufe der Jahrzehnte seine sechs Hektar besten Reblands. Zu Beginn konnte er sich die Ertragsbeschränkung und die biodynamische Arbeit garnicht leisten, er brauchte die Erträge zur Finanzierung und zum überleben.
Nun sind die besten Lagen La Morras, die auf ca. 400 Meter Höhe gelegenen Südhänge »La Serra« und »Brunate« sein Eigen, darunter etwas tiefer am gleichen Hang etwas Cerequio. Zur anderen Seite aus dem Dorf raus kaufte Roberto irgendwann einen Hektar Roche Annunziata, ebenfalls eine Südexposition. Erst in den letzten 10–15 Jahren konnte er es sich leisten seine Maximen umzusetzen. Dichtpflanzung der Rebberge bis auf 9.000 Stöcke (mehr ist der Sonneneinstrahlung der einzelnen Reben wegen zu dichter Rebzeilenabstände abträglich) im Barbera und Dolcetto, nach und nach auch in den erneuerten oder nachgepflanzten Barolo-Weinbergen. Ausschließlich und immer biologische Arbeit im Weinberg und Keller. Das Erdreich wird den ganzen Winter über aufgelockert um viel natürliche Wasservorräte für den nächsten Sommer einzulagern. Das schafft große natürliche Reifevorsprünge. Bis zu sieben grüne Lesen während des Sommers. Jede Barbera- und Dolcettorebe wird auf einen Ertrag von unter ein Kilo reduziert. Im Baolo bleiben sogar nur fünf winzige Trauben ganz nah am Stock stehen, die dann sogar per sorgfältigem Schnitt als letzte Reduktion zwei Wochen vor der Lese ihrer unteren, qualitätsschwächeren Hälfte beraubt werden. Das Ergebnis: Nur ein halbes Kilo pro Stock. Mit ungeheurer Konzentration, Kraft und Frucht, aber eben auch mit unglaublich hoher Säure, denn Roberto kann wegen der winzigen Erträge und der perfekten und biologischen Arbeit schon 3–4 Wochen früher als alle Kollegen ernten, da ist die Säure noch vollständig erhalten. Handlese und vollständige Entrappung, beim Barolo überwiegend per Hand, dann Vergärung für zwei Wochen im Stahl ausschließlich mit der natürlichen Hefe. Auch die Malo erfolgt im Stahl um keinerlei Gärverunreinigung im Holzausbau zu riskieren. Bleibt mal ein Tank stecken wird niemals mit Zuchthefe nachgeholfen, hier, wie auch bei nur geringen ungewollten Hefetönen des Hefestamms Brettanomyces (Stallgeruch – kann bei zu warmen Temperaturen bei der Lese zur starken Vermehrung dieses Stamms kommen), wird immer und vollständig der ganze Tank in den Ausguss gekippt.
Nie ein Zugeständnis, nie gibt es ein Abweichen von der Top-Qualität! Roberto verwendet nach der Fermentierung des Barolo nur den natürlichen Ablauf, niemals Presswein, der offen verkauft wird. Während der Vergärung wird der Tresterhut nicht runtergedrückt, nur eine vorsichtige Remontage erfolgt, keinerlei Gerbstoff aus den Kernen kommt so in den Wein. Selbst der Dolcetto und Barbera werden nur mit einem halben Bar Druck gepresst, also mehr handwarm ausgedrückt. Der vergorene Barolo kommt dann in gebrauchte Holzfässer (Barriques in Burgunderausrichtung mit dichtem Holz und minimaler Toastung) von 3–7 Jahren (in der ersten zwei Jahren nur für Barbera gebraucht), danach werden die Fässer verkauft, da danach kein ausreichender Sauerstoffaustausch der dann zu dicht werdenden Fässer mehr erfolgen kann. Roberto will unbedingt den Sauerstoff, aber auf keinen Fall das frische Holztannin oder die Vanille gerösteter neuer Bordeaux-Barriques. Auch unternimmt Roberto nichts um die Weine farblich dunkler zu halten. (Manch ein Erzeuger hilft da dann schonmal mit Enzymen und künstlichen Tanninen nach.) Das Ergebnis dieses extremen Schaffens: Schon der sehr preiswerte Dolcetto und Barbera sind traumhafte und fast große Weine. Die Baroli sind in ihrer sehr konzentrierten, intensiven, fruchtigen, aber niemals fetten, immer finessereichen Art von keinem anderen Erzeuger zu erreichen. Roberto Voerzio ist zu Recht eine lebende Legende. Sein ebenfalls sehr talentierter Sohn Davide folgt auf dem gleichen Weg. Nirgendwo in Italien gibt es eine solche Qualität, weltweit spielen nur die ganz großen Burgunder und Cote Roties in der gleichen Liga.
Roberto ist ein großer Fan des Jahrgangs 2022. Den entscheidenden Unterschied machen seiner Meinung nach die ganz besonders kleinen Erträge seiner Reben. Dieses Jahr brachten die Trauben maximal 100 g pro Stock auf die Waage! EINHUNDERT GRAMM !!! Ein Fünftel seiner normalen Menge und nur ein Zehntel der meisten Toperzeuger. Je weniger Trauben die Reben tragen, desto gleichmäßiger reifen sie aus und desto harmonischer werden sie süß. Zudem ist das perfekte Gleichgewicht der Säure zur Süße bei kleineren Erträgen einfacher und präziser zu erreichen, sagt jedenfalls Roberto.
Die Arbeit in den Weinbergen nimmt in Zeiten der Klimaerwärmung eine immer wichtigere Rolle ein. So muss auch die Beblätterung der Reben im harmonischen Gleichgewicht zu diesen Erträgen stehen. Zu viele Blätter würden den Zuckergehalt der Trauben zu schnell in die Höhe treiben, während zu wenig Blätter die Trauben der immer stärker werdenden Sonne schutzlos aussetzen würden. Bei Voerzio werden immer genau drei Blätter unterhalb der Trauben belassen (oberhalb zum Sonnenschutz natürlich mehr), das hat schon Robertos Großvater so gemacht. Ansonsten werden alle weiteren Blätter unterhalb der Trauben entfernt. Bei der grünen Lese im Juli werden zudem alle Reben auf maximal fünf Trauben pro Stock reduziert, manchmal auf 3, selbst der Dolcetto! Roberto Voerzio ist aufgrund dieser verrückt kleinen Erträge – die sich natürlich nicht jedes Weingut leisten kann, schließlich spiegeln sie sich am Ende auch in den Flaschenpreisen wider – ein Beispiel für den makellosen Weinbau im Piemont geworden. Er ist mit Abstand immer der allererste Winzer, der seine Trauben einbringt, weil so geringe Erträge in biologischer Arbeit brutal viel schneller reifen. Das geht sogar so weit, dass seine Gärungen oft schon durch sind, wenn andere noch nicht mal mit der Lese begonnen haben. Im Herbst, sobald die Blätter gelb geworden sind, wird der nährstoffreiche Mist von den heimischen Piemonteser Fassona-Kühen zwischen den Reben ausgefahren – aber nur da, wo es wirklich nötig ist und der Boden, beziehungsweise die Reben, diese Unterstützung brauchen.
1986 war sein erster Jahrgang und Roberto wird 2026 sein 40-jähriges Winzer-Jubiläum feiern. Er erinnert sich stolz an die durch Neuerungen (welche die Wein-Qualität und Zugänglichkeit der traditionellen Baroli verbessern sollten) getriebene Bewegung junger Winzer zurück, die er damals gemeinsam mit ein paar weiteren Visionären startete. Aus vielen von ihnen wurden große Unternehmer, aber kaum einer, eigentlich gar keiner, hat diese harte Qualitätsphilosophie bis heute so unnachgiebig durchgezogen wie Roberto selbst.
Von 2021 bis 2023 waren alle Jahrgänge von vielen Sonnenstunden und wenig Regen geprägt. Vor meiner Probe im Oktober 2025 frage ich Roberto, was den Jahrgang für ihn auszeichnet. »2022 haben die Weine eine schöne Farbe von lebendigem Rubinrot und im Mund zeichnen sie sich durch ihre enorme Frische aus. Von Dolcetto über Barbera bis hin zu den Baroli treffen diese Eigenschaften bei allen Weinen des Jahrgangs zu.«
Aromatisch bin ich ebenfalls ziemlich von seinen Weinen angetan. Sie sind bereits in diesem jungen Stadium während meiner Probe offenherzig und zugänglich, zugleich sind sie harmonisch und ausgeglichen. Im Mund haben die Baroli eine knackige Definition, die in Form von präziser Frische auf die Zunge schnellt. Man würde beim bloßen Probieren niemals auf den Gedanken kommen, dass diese Weine aus einem heißen Jahrgang stammen. Insgesamt sind Roberto Voerzios Weine 2022 sehr unterschiedlich, zum Teil haben sie einen hohen Gehalt an imposantem Tannin, viel Säure und nicht so viel fette saftige Frucht, wie man von diesem warmen Jahr erwarten würde und wie das in den vorangegangenen Jahrgängen ab 2017 der Fall war. Insgesamt sind die Weine 2022 eher athletisch als opulent und auf jeden Fall sind alle Weine von Präzision gezeichnet. Hier ist absolut nichts von überreifer Frucht zu spüren, sondern sie haben eher etwas »Kühles«. Zu meiner Verwunderung sind die Weine aus den wärmeren Lagen wie Rocche dell’Annunziata, Brunate und Cerequio am ausgeglichensten und am harmonischsten, La Serra war eher grandiose Askese. Das Highlight meiner Probe war im Oktober 2025 allerdings die Barbera Pozzo 2022, sie ist ein absolut großartiger, vielschichtiger, einnehmender und berührender Wein! Der Barolo La Morra und der Barolo La Serra waren im jungen Stadium bei meiner Probe im Oktober 2025 nicht ganz so leicht einzuschätzen. Theoretisch könnte die hohe Säure und Struktur ihnen ein langes Leben verleihen, aber da es den Weinen meiner Meinung nach etwas an Saftigkeit und Fett fehlt, sind sie vermutlich eher für eine mittelfristige Lagerung geeignet.
2021 war ein herausragender, klassischer Jahrgang im Piemont. Das Frühjahr startete mit gut gefüllten Wasserreserven in den Weinbergen. Roberto Voerzio hatte auch Frost in seiner Cru Lage Sarmassa zu verzeichnen, der den Ertrag am Ende mengenmäßig leicht reduzierte. Die Parzelle in Rocche dell’Annunziata war glücklicherweise – im Gegensatz zu der des jungen Aufsteigerweinguts Trediberri – nicht betroffen. Das Wetter war insgesamt während des Jahrgangs relativ ausgeglichen. Der Sommer war warm und trocken und das Weingut konnte große Unterschiede zwischen den Tages- und Nachttemperaturen beobachten, die zu der wunderbaren Klarheit der Frucht in den Barolo-Weinen des Jahrgangs 2021 führten. Roberto Voerzio füllte im August 2024 insgesamt knapp 95.000 Flaschen des Jahrgangs ab, kurz bevor die neue Lese losging.
Generell wirken die Weine von Roberto Voerzio in diesem jungen Stadium des Jahrgangs 2021 eher schlank und geradeauslaufend präzise. Im Gegensatz zu den meisten Weinen des Jahrgangs, die von opulenter Frucht gezeichnet sind, steht bei Voerzios Weinen die Präzision durch die prominente Säure der Weine immer wieder im Vordergrund. In den Weinen scheint alles super komprimiert: die Säure, die Tannine und die Aromatik sind in hoher Konzentration vorhanden.
Der Barolo Cerequio 2021 ist dabei der meiner Meinung nach extremste Ausdruck des Jahrgangs. Er tänzelt wie ein Stepptänzer über die Zunge und die Präzision der Säure ist beinahe gnadenlos – sie gibt diesem Wein gemeinsam mit der klassischen Struktur das Zeug für eine lange Flaschenreife. Der Barolo La Serra zeichnet sich 2021 durch seine intensive Salzigkeit aus – diese Mineralität ist absolut monumental und legt sich sogar noch über die griffigen Tannine des großen Jahrgangs. Auch der Barolo Torriglione 2021 ist herausragend! Selbst wenn er sich in seiner Charakteristik stark von den anderen Lagen unterscheidet, denn die Kombination aus dichtem Schub, Würze, Frische, Balance und Tiefe zeichnet diesen Wein aus. Die Feinheit im Nachhall ist einfach nur herrlich! Ein großer Wein der Finesse und der Zartheit. Voerzios großartige 2021er verdienen ein paar Jahre im Keller, bis die gesamte Struktur in sich vereint sein wird.
Roberto Voerzio ist in Barolo bekannt wie ein bunter Hund dafür, dass er seine Trauben immer als einer der ersten im Keller hat. Er arbeitet mit ultra kleinen Erträgen aus Dichtbepflanzung, daher werden die Trauben früher reif. Cesare Bussolo, arbeitet seit 2006 als Winzer mit Roberto Voerzio. Er beschreibt 2020 als »very regular vintage« mit einem wärmeren Frühling und wärmeren Temperaturen im Sommer, aber ohne jegliche Hitzespitzen. Die Lese begann hier Anfang September 2020 (2022 und 2023 war es ungefähr 2 Wochen später). Die Weine haben dieses Jahr eine selten zuvor bei Voerzio gesehene Finesse, Feinheit und Eleganz. Sie sind von mittlerem Rubinrot und beinahe verträumt im Glas, mit hedonistisch-saftiger Frucht ausgestattet. Diese fabelhafte Balance sucht ihresgleichen. In einigen Weinen taucht ein Hauch ätherischer Orangenschale und Pfirsich auf – der Hedonismusregler ist bis zum Anschlag aufgedreht. Der feine 2020er Cerequio ist die ultimative Verführung der Probe, der 2020er Brunate der Muskelprotz im Gewand aus weich fallender Seide. Übrigens wurde 2023 bei Voerzio der zusätzliche, 900 Quadratmeter große Keller fertiggestellt. Der Perfektionist arbeitet unermüdlich daran, Prozesse im Weingut weiter zu verbessern und die neuen temperaturkontrollierten Gärtanks werden ab dem Jahrgang 2023 zu noch höherer Qualität beitragen.
In Roberto Voerzios Weinen kommt diese ultimative Balance und Intensität des Klassik-Jahrgangs 2019 voll zur Geltung. Die Weine sind in fantastischer Balance, strukturiert und zugleich mit reifer, saftiger Frucht ausgekleidet. 2019 gehört zu den besten Voerzio-Jahrgängen, an die ich mich erinnern kann. Dabei hatte Roberto enorm viel Glück, dass seine Reben mit Netzen geschützt waren. 2019 war zwar ein Bilderbuch-Jahr, aber im August kam es zu verheerenden Hagelstürmen, die so kurz vor der Lese die Trauben einer kompletten Lage hätten ruinieren können, wenn keine Schutzmaßnahmen getroffen worden wären.






