Lobenberg: Der Kiedricher Gräfenberg ist sicherlich eine der berühmtesten Lagen Deutschlands. Robert Weil ist einer der Mitbegründer der VDP „Großen Gewächse“, die zuerst unter dem staatlich begründeten Namen „Erstes Gewächs“ vermarktet wurden. Der Gräfenberg ist eine Monopollage des Weinguts mit relativ großen Mengen, aber mit einem sehr speziellen Terroir. Steile Lagen, kühl, und einige hundert Meter hoch. Weil ist eine der absoluten Benchmarks im GG schlechthin und speziell auch für dieses Jahr, und seit vielen Jahren ist Weil eine sichere Bank für die absolute Spitze im trockenen und süßen Bereich. Auf diese Weine war ich demnach sehr gespannt, weil 2019 doch ein so extremes Jahr ist. Alles, was ich bisher aus 2019 probiert habe, zeigt die wahnsinnige Frische, die enormen Extraktwerte, Spannung und Mineralität aus 2010, verbunden mit der saftig-reifen und reichen Frucht aus 2018. Wie hat das Weingut Weil diesen Spagat in die Flasche gebracht? Die Nase des 2019ers ist in jedem Fall sehr explosiv. Weit weniger fein und erhaben als der extrem schicke und leicht abgehobene 2018er. 2019 zeigt eine unglaubliche Frische. Völlig clean, keine Botrytis. Und trotzdem eine leichte Exotik. Kandierte Mandarine, kandierte Orange. Das Ganze mit etwas Maracuja unterlegt. Waldmeister, ein bisschen süßes Jasmin. Unglaublich duftig, fast explosiv. Der sonst eher stylische und geradlinig fokussierte Gräfenberg kommt hier mit einer Wildheit und Intensität aus dem Glas, die ich lange, lange nicht mehr so erlebt habe. Der Spagat zwischen 2010 und 2018 ist als Vergleich absolut erlaubt und zulässig. Ein bisschen Erinnerung an 2013 und in der Lautstärke an 2015. Aber doch über beiden thronend. Was für eine Intensität in der Nase. Das Ereignis kommt genauso in den Mund. Allerdings – und das ist das Gute – er hat ganz sauber definierte Kanten. Er hat diese Exotik, er hat diese extreme Spannung aus der wahnsinnigen Frische, aber die Säure ist niemals spitz, das ist nur Weinsäure, keine Apfelsäure. Das ist super, super kristallin und geschliffen, strahlend, und geht hintenraus mit einem wunderschönen und leicht exotisch-süßen Schwänzchen mit Mandarine, Orange und ein bisschen Maracuja. Vor allem die Pikanz aus der Maracuja, dieser hohe Oszillograph zwischen der Süße und Säure – faszinierend. Und trotzdem ist der Gräfenberg von Weil letztlich wieder auch ein sehr fokussierter und mittig-laufender Wein. Ich hatte direkt davor den Abtsberg von Maximin Grünhaus, der noch ein bisschen überbordender war in alle Richtungen. Wir sind hier auf dem gleichen Level, nur dass der Gräfenberg etwas sauberer und definierter ist. Es ist auch klar, dass dieser 2019er Jahre braucht und Jahrzehnte hält. Was für ein Jahr! Ich schwelge oft in Superlativen bei diesem Weingut, speziell bei diesem Wein. Aber 2019, mit diesem extremen Spannungsfeld zwischen 2010er-Frische, -Mineralität und -Extrakt und 2018er-Reife, fällt aus meinem Vergleichsrahmen. Es ist leicht, immer wieder mal zu sagen «Best ever». Aber zumindest ist 2019 ein Unikatswein und ein Wein, der – obwohl er so intensiv ist – überhaupt nicht anstrengt und zitruslastig ist, sondern durch seine Reife und wunderschöne Zuckrigkeit den Gegenpol zur Frische und Säure perfekt bildet. Eine ganz große Freude, jetzt, aber sicherlich für Jahrzehnte. Was für ein großes Jahr für dieses Weingut und für Deutschland. 100+/100