Von Nils Lackner

Kleine Exkursion in die Champagne

Wann immer ich erzähle, dass Champagner zu meinen Lieblingsweinen gehört, sehe ich meinen Gesprächspartnern an, was sie denken: »Klar, der Herr Sommelier mag’s eben nobel.« Dabei ist das totaler Quatsch. Champagner ist für mich einer der technisch interessantesten Weine weltweit. Keine andere Appellation hat ein dickeres Regelwerk, mehr Vorschriften und Regulierungen. Hinzu kommt, dass nirgendwo sonst die Verlockung größer ist, als Winzer seine Trauben einfach zu verkaufen, anstatt sich den Tücken der Herstellung zu ergeben. Wer also macht – neben den großen Häusern – eigenen Champagner? Perfektionisten, Freaks, Idealisten, allesamt charakterstarke Winzer, und das merkt man den modernen Stilistiken auch an. Das gibt es in anderen Regionen der Weinwelt zwar auch, aber meiner Meinung nach selten in so hoher Dichte wie in der Champagne.

Jeder, der mal in der Champagne war, weiss von der Magie dieser Region mit ihren engen Landstraßen, kleinen Brasserien und Champagner-Bars und kilometerlangen Rebzeilen. Die kleineren Orte mit ihren alten Steinhäusern sehen so aus, wie man sich französisches Landleben eben vorstellt und die Städte präsentieren sich stolz mit Prachtbauten und eleganten Plätzen. Auf so einem Platz, mitten in Epernay treffe ich mich im April bei strahlendem Sonnenschein mit Heiner Lobenberg, der hier die erste Station seiner großen Frankreichtour hat. Gemeinsam haben wir eine Passion für die etwas spezielleren Champagnerstile, weg von den großen Marken. Heute sollen wir das Glück haben, bei Champagne Salmon zu einer privaten Grundweinprobe eingeladen zu sein. Der Clou dabei: es handelt sich ausschliesslich um Chardonnays, die hier in Chaumuzy andere Aromen hervorbringen. Das liegt an den Feuersteineinschlüssen im typischen Kalk- und Kreideboden. Gemeinsam mit drei Generationen der Familie Salmon und dem hauseigenen Oenologen verköstigen wir die verschiedenen Lagen, junge und alte Reben, aus dem Stahltank und mit Holzausbau. Es werden mögliche Dosage und Assemblage diskutiert, wobei Heiner und ich den Ausbau zur etwas polarisierenderen, gradlinigeren Cuvées vertreten. Anschliessend dürfen wir uns den sehr aufgeräumten Keller mit der alten Coquard-Presse anschauen und einen Blick in die Zukunft werfen, als Alexandre Salmon uns mit dem Special Club 2011 und dem 2012 Rosé Saignee zwei Weine einschenkte, die frühestens 2016 auf den Markt kommen werden. Beide sehr gradlinig, und ohne Dosage unglaublich spannungsreiche Bomben jenseits des Etikettentrinkermarktes.

Den Abend ausklingen liessen wir in der Brasserie La Banque, wo wir es uns bei Fois Gras und Dry Aged Steak gut gehen liessen. Dazu gab es eine Flasche eigens für heute Abend abgefüllten Pinot Meunier von Salmon, ein stiller Wein, der eigentlich im Meunier Rosé brut verwendet wird und eine Flasche Pierre Peters Cuvée de Réserve Grand Cru brut. Wieder einmal hat die Champagne mich begeistert und mich dazu inspiriert, zu einigen Schaumweinen meine Meinung aufzuschreiben, allesamt auf hohem Niveau eigensinnig genug, um richtig Spass zu machen und ein Zeichen zu setzen, dass Champagner viel mehr kann, als nur chic zu sein.

Alain Thienot – Champagne Grand Cru Blanc de Blanc »La Vigne aux Gamins«

Die Flasche wirkt mit ihrer Ausstattung fast unscheinbar. Minimalistisch geradezu ist das Frontetikett gehalten. Dennoch, alle wichtigen Elemente sind da und zeigen auch gleich, wenn auch auf subtile Art und Weise, dass es sich hier um etwas besonderes handelt. Dieser am Etikett erkannt Minimalismus sollte sich als generelles Stilelement des 1999 La Vigne aux Gamins herausstellen. Verkostet habe ich mit einem französischem Champagnerglas (ähnlich einem Sauvignon Blanc Glas) und einem großen Burgunderpokal. In beiden zeigt der Thiennot eine gleichmässige und elegante Perlage, eine brillante Klarheit und helle strohgelbe Farbe. Für einen immerhin schon über 15 Jahre alten Blanc de Blancs sieht er erstaunlich jugendlich und frisch aus. Die Nase ist nicht aufdringlich, sondern präsentiert ein paar selektierte Fruchtaromen von Apfel, Birne, Aprikose, welche sich an eine cremige Hefenote schmiegen. Diese hat einen Hauch Süße, als hätte jemand in genialer Eingebung den Briocheteig leicht nachgesüßt. Im Burgunderpokal kommen diese Süße, sowie die reiferen Seiten der genannten Früchte ein wenig präsenter zur Geltung. Auch hier ist der 1999 La Vigne aux Gamins ein ruhiger Minimalist, welcher seine Stärken kennt und sie ausspielt, ohne sie mit unnötigem Beiwerk schmücken zu müssen. Das Erste, was am Gaumen beeindruckt, ist die Leichtigkeit des Säurespiels, welches frisch erstrahlt und eine jugendliche Lebendigkeit versprüht. Nicht aggressiv, eher Richtung Limette und Kumquat gehend. Die vorher an der Nase entdeckten Früchte tauchen auch hier am Gaumen wieder auf, mit zunehmender Zeit im Glas verlieren sich die grüneren Töne und die etwas reiferen Fruchtnoten bilden einen tollen Gegenpol zum Säuregerüst. Kühl und mineralisch kommt eine für die Champagne klassische Kreidenote zur Geltung, mit einem Hauch metallischer Bitterkeit. Auch sie auf qualitativ höchstem Niveau auf die notwendigen Elemente reduziert. Die Hefe gibt einen briochigen Gehalt und sanften Rückhalt, während die leichte Süsse sich wie ein dünner Faden aus süsser Marille durch den Wein zieht. Sowohl im kleinen als auch im großen Glas verfällt die Frische auch nach einiger Zeit kein bisschen und auch die Perlage bleibt lange im Glas. Empfehlen würde ich dennoch den Burgunderpokal, weil er die Feinheiten besser auffächert und weitergibt, was auch den langen Abgang profitieren lässt. Am besten beschreibt man den Champagne Thiennot 1999 La Vigne aux Gamins als schnörkellos minimalistisch. Er konzentriert sich auf die Quintessenz des Champagnerwesens. Was er nicht hat, braucht man nicht. Klar strukturiert mit herrlicher Frische, balanciert durch reife Töne und kühler Mineralik, balanciert durch softe Hefe. Allergrößtes Kino!

Andre Clouet – Champagne »1911« Grand Cru

Bei Champagner ist für mich auch immer die Ausstattung wichtig, welche mir hier sehr gut gefällt. Edel, klassisch mit einem Hauch Barock und feierlich, was zu einem Grand Cru Champagner ja gut passt. Erster Eindruck also gut. Richtig anstrengend finde ich allerdings die Folie. Was zum Teufel macht das Champagnerhaus damit? Festkleben? Es dauerte ewig, bis ich die Agraffe freigelegt habe, für Gastronomie und Events wäre das die Hölle. Als ich nach gefühlten 20 Minuten endlich die Manschette entfernt hatte und der Champagner im Glas ist (1 × französisches Champagner Glas, 1 × Burgunderpokal) fand ich die Farbe sehr ansprechend. Ein elegantes goldgelb mit funkelnden Reflektionen. Die Perlage moussiert gleichmässig, mit kleinen samtigen Bläschen. An der Nase wirkt er fast schwerer als die Farbe vermuten lässt. Schöne cremige Hefenoten, Brioche und reife Früchte wie Birne, Aprikose und Orangenschale. Sehr ausgewogen, im Burgunderpokal wirken sie noch ausladender ohne übermässig zu sein. Am Gaumen spiegelt der André Clouet 1911 GC Classe alle Element der Nase wieder, geht dabei aber mehr in die Tiefe. Die Perlage füllt den Mund sehr weich und fließend aus und scheint die Cremigkeit der schön präsenten Hefenoten gleichmässig zu verteilen. Die Frucht spiegelt reifen, fast schon süßen Apfel und Birne wieder, etwas Aprikose und Dörrobst. Eine leicht schmelzige Komponente unterstreicht die reiferen Fruchttöne. Dennoch hat der Champagner keinerlei an Frische verloren, von der beerigen Säure des Pinot Noir ist noch genug da, um alles im Gleichgewicht zu halten. Die Hefenoten zeigen jetzt auch klassische Umami-Noten und im Abgang kommt eine typisch kalkige Champagner-Mineralität durch. Das letzte Drittel habe ich kurz in kleiner Karaffe dekantiert, was weder Säure noch Perlage zu schaden schien und die einzelnen Aromen noch weiter aufgefächert hat, ein Zeichen für Komplexität und Reifepotential. Der André Clouet 1911 GC Classe ist definitiv ein handwerklich sauber gearbeitetes Produkt. Rein stilistisch eher ein Champagner für erfahrenere Weintrinker als für Etikettentrinker. Ich hatte auf einen Winzerchampagner getippt (RM), was bei einem SR (Societe de relcoltant) ja nicht so falsch ist. Zusammenfassend: Hammer Champagner mit schöner Hefenote, sehr balanciertem Körper und langem Finish.

Pierre Gimonnet & Fils – Champagne Brut Grand Cru »Special Club – Grands Terroirs de Chardonnay«

Als Mitglied des Club Tresors de Champagne darf Pierre Gimonnet in besonders guten Jahrgängen ein Special Club Cuvée auf den Markt bringen und dafür auch die spezielle Club Tresors Flasche mit ihrem eigenen Branding verwenden. Es ist immer eine Freude, eine Club Tresors Flasche in den Händen zu halten. Zum einen sieht sie einfach edel und elegant aus, zum anderen weiss man schon von Anfang an, dass es sich um einen besonderen Prestige-Champagner des Hauses handeln muss. Im Glas fällt auf, dass der 2006 Gimonnet Special Club extrem kleine und feine Perlen bildet, jedoch nicht zu zahlreich. Eine eher diskrete Perlage (degorgiert wurde er ca. 21 Monate zuvor). Die Farbe ist ein saftiges goldgelb, etwas dunkler, als ich es von einem Blanc de Blancs ohne Holzeinsatz erwartet hätte. Wie immer verköstige ich aus einem französischem Champagnerglas (ähnlich Sauvignon Blanc Glas) und einem Burgunderpokal. Die Nase ist groß und kräftig. Sie spiegelt im kleineren Glas sortentypischen grünen Apfel wieder, etwas Limette und einen Hauch Quitte. Dahinter liegt eine wunderbar definierte kühle Kreide-Kalk-Note. Im großen Burgunderglas wirkt die Frucht etwas sanfter, Pfirsich hat sich noch dazugesellt und die Mineralik wirkt jetzt wie eine große kühle Fläche aus kalkigem Kreidefels. Später, ein paar Grad wärmer gesellt sich noch eine leicht süße Note dazu, minimal nur, und die Chardonnay-Frische nicht störend. Die Säure wirkt belebend und trägt den Champagner so unendlich lange, als sei sie nicht kleinzukriegen. Auf diesem Säuregerüst spielen sich tolle Aromaszenen ab. Frische grüne Frucht wird langsam immer saftiger, zum Granny Smith kommen dann Birne, Quitte und viel weisser Pfirsich dazu. Wie an einen Wendepunkt kommend, fängt die Frucht an, langsam zu verklingen, während das strahlende Säurespiel weiterhin Halt gibt, jetzt für eine lange kühle Mineralik und ein paar sanfte Gerbstoffnoten. Im größeren Glas kommen die saftigeren Noten voller zur Geltung, was aber auch daran liegt, dass die ohnehin schon introvertierte Perlage hier noch schneller verblüht. Der Champagner wirkt weiniger, teilweise schon mit leicht cremigen Noten. Auch bringt der Burgunderpokal einen Hauch von dosierter Extraktsüße hervor. Gering nur, wie ein Tropfen Nektar, dennoch ein schöner Gegenpunkt zu den starken Primärnoten. Ein kraftvoll gemachter Blanc de Blancs mit spannungsreicher Frucht, einem wahnsinnig lebendigen Säurespiel und einer komplexen Mineralik, hier kommen die Grand Cru Lagen schön zum Tragen. Große Gläser kann er ab, wer ihn aber moussierend bevorzugt, sollte bei kleineren Glasformen bleiben.

Salmon – Special Club Cuvee 2009

Nur 28 Champagnerhäuser gehören dem elitären Kreis des Club Trésors de Champagne an, dessen Mitgliedschaft nur Winzerchampagnerhäusern möglich ist und nur auf Einladung erfolgt. In Jahren, welche von einem club-internen Komitee als aussergewöhnlich bewertet werden, darf eine spezielle Club Cuvée gemacht werden. 2009 stellt die erste Special Club Cuvée aus dem Hause Salmon dar. Die Flasche sieht edel und bauchig aus und trägt stolz das Flaschenbranding des Clubs. Das Label ist stilvoll minimalistisch gehalten, edel siehtes aus.! Beim Öffnen fällt auf, dass für den Korkendeckel eine Soft Touch-Variante gewählt wurde, die dem Daumen zu schmeicheln scheint.! Im Glas (Burgunderpokal oder ähnlich groß darf es schon sein) erstrahlt der Salmon in hellem Gold mit feinsten Bläschen, welche leuchtende Reflexionen an der Oberfläche hinterlassen. An der Nase wirkt er frisch, mit einem Hauch von Mandarine und Grapefruit, unterstrichen von sanfteren Noten, wie Vanille und butterige Hefearomen. Sein Bouquet ist kräftig ausgebildet und wird im größeren Glas schön zur Geltung gebracht.! Am Gaumen wird sofort eines klar. Dieser Champagner hat seine eigene starke Persönlichkeit, welche ganz deutlich zeigt, dass hier ein Winzerchampagner im klassischen Handwerk gefertigt wurde. Anders bekommt man keine so deutliche Handschrift hin. Lebendige Aromen von Zitrusfrüchten, ohne Zitrone selber. Eher Pink Grapefruit, Mandarine, Kumquats. Darunter liegt eine tiefere, reifere Schicht von Apfel, Birne und Quitte, welche sich mit den frischen Früchten ein spannendes Wechselspiel liefert. Eine fast brauseartig prickelnde Säure interagiert mit einem Hauch von Fruchtzucker-Süße. Auch die Hefenoten sind nicht als eine Komponente einzuordnen, sondern teilen sich in eine cremig sanfte Schicht und eine klar mineralische Ebene auf.! Ein spannender Champagner, komplex und definitiv auch eine Gaumenfreude für erfahrene Connaisseure. Das Spiel der Aromen trägt ihn lange und auch die Perlage füllt den Mund sanft und beständig aus. Der Winzer Alexandre Salmon hat mit diesem Champagner seine erste eigene Cuvée erstellt und somit vor der Welt aber wichtiger noch vor Vater und Großvater seine Meisterprüfung abgelegt.

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