Von Marc Dröfke

Italien ist nicht
meine Baustelle

Meine Freunde kennen diesen Satz zur Genüge. In meinem weniger weinaffinen Umfeld werde ich immer wieder zu weintechnischen Fragen zurate gezogen. Sei es wegen eines passenden Weins zum Essen, ob der Wein ABC vom Winzer XYZ etwas tauge, ob ich diesen oder jenen Wein schon einmal getrunken hätte und wie der Jahrgang JJJJ wohl geraten sei.

Dann merk ich es wieder. Ich bin französisch vinifiziert und mein Herz schlägt für Bordeaux. Fragt mich jemand, wie 2010 war, dann sag ich »ein toller Jahrgang« und wundere mich, wenn mein Gegenüber einwendet, 2010, das sei doch dieser Arschjahrgang gewesen. Bis mir aufgeht, der meint gar nicht Bordeaux, der meint Deutschland. (Disclaimer: Unterschätze niemals einen schlecht geredeten Jahrgang, weder in Bordeaux, wo ich beispielsweise viele wunderbare 1997er getrunken habe, noch in Deutschland).

Und dann kommt sie immer wieder, die italienische Gretchenfrage, frei nach Goethe: »Nun sag, wie hast du’s mit dem italienisch’n Wein? Du bist ein’ herzlich gute Frau, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.«

Irgendwie kommen wir beide nicht zusammen, die italienischen Weine und ich. Ich habe schon grandiose getrunken, tiefgründig, komplex, monolithisch, Atem beraubend. Wenn ich noch an den 2003 Valpolicella Superiore di Monte Lodoletta DOC von Romano dal Forno denke, um den Freund Fred extra für mich ein ganzes Essen komponiert hat, um mich zu überzeugen, dann habe ich dieses Wow-Erlebnis gleich wieder auf dem Gaumen und in der Nase. Aber irgendwie ist es nie so weit gekommen, dass ich mich tiefer in die Materie gekniet habe. Italienische Güter im Schlaf aufsagen wie die Châteaux an der D2 im Médoc kann ich nicht. 50 laufende Regalmeter italienischen Wein im Keller – nope.

Das ist wie mit dem Reggae-Liebhaber, den man mit in ein Jazz-Konzert schleppt, er genießt die Musik, er findet die Klänge faszinierend, er kauft sich vielleicht sogar The Köln Concert von Keith Jarett, aber es wird doch eher eine beiläufige Bekanntschaft und niemals echte Freundschaft oder gar wahre Liebe werden. Er kehrt dann doch immer wieder zu UB40 zurück.

Letztens habe ich einen großartigen Bildband über die jahrhundertelange Geschichte der Familie Antinori geschenkt bekommen. Eine wunderbare Welt und gleichzeitig ein Abriss der faszinierenden Wirtschaftsgeschichte Italiens. Einer der Bildbände, bei dem es ewig schade ist, wenn der geneigte Leser nur die hervorragenden Bilder anschaut und ob des Texts vergisst. Da wurde ich wieder ein wenig neugierig und dachte mir, ich pack’s noch mal an. Italien kann mir also nicht vorwerfen, ich hätte es nicht immer wieder versucht.

Was tun in einem solchen Fall? Man wende sich an den Weinhändler seines Vertrauens. Lobenberg, bitte, empfiehl mir doch mal zwei Italiener für Bordeauxfexe. Lobenberg tut, was man in einem solchen Fall tut. Die Aufgabe wird an den Mitarbeiter Markus Budai delegiert. Und der schickt mir mit meiner letzten Bestellung zwei Weine mit, auf dem Lieferschein lese ich »burgundische Italiener«. Schluck!

Der Markus ist burgundisch vinifiziert, das weiß ich. Oder hat es ein Problem in der Kommunikationskette gegeben? Oder gibt es keinen »bordeauxischen« Italiener? Aber nun ist der Wein einmal da und wird probiert. Für einen Wein, der in meinem Keller ist, gibt es nämlich nur einen logischen Ausgang. PMG, wie der Franzose (klar, wer sonst) sagt – par ma gueule – durch meine Kehle. PMG sagt er übrigens auch, wenn er pour ma gueule meint, für meine Kehle, also Weine meint, die er am allerliebsten selber trinkt.

Zunächst, gemäß meines selbst verordneten Voodoo, ruht der Wein zwei Wochen im kühlen und dunklen Keller und verbessert in der Nachbarschaft seine Französischkenntnisse. Weil, Kompatrioten findet er keine in den Regalen, außer ein paar Südtirolern, aber die halten sich ja noch nicht einmal selber für richtige Italiener.

Und dann kommt sie, die Stunde der Wahrheit. Oder in Abwandlung des alt bekannten Fußballspruchs: Wichtig ist im Glas!

Da funkelt er in wunderschönem Tiefrubinrot, der
 

2011 Riecine Rosso Toscana IGT

und gibt nach und nach seine bezaubernd leichten und doch intensiven Aromen frei, florale Noten, ein wenig Pfingstrose, ein wenig Akazienblüte, bei der man schon an den Honig denkt, den diese Blüten später einmal bringen werden, Beeren, vor allem aber reife süße Kirsche.

Kein Weingenuss ohne Recherche. Die Zeiten, in denen man einfach einen Wein ins Glas gibt, ihn erschnuppert und erschmeckt, sind seit Google vorbei. Wo kommt er her, wer hat ihn er gemacht? Und wer behauptet, er schiele nicht hin und wieder auch mal auf Orden, Ehrenzeichen, Parker- oder Gambero Rosso Punkte, der lügt. Wirklich!

Als erstes sehe ich eine Parallele zu einem meiner Lieblingsbordeaux, dem Léoville-Barton (den Spruch mit der Magnum *) des unnachahmlich großartigen Sir Anthony Barton kennt ja sicher inzwischen jeder), das Weingut ist ebenfalls in der Hand eines Abkömmlings der Britischen Inseln. Der Brite John Dunkley, bitte nicht mit dem jamaikanischen Künstler verwechseln, erwarb das Gut in den 1970er Jahren. Heute ist der junge Önologe Sean O’Callaghan für den Wein verantwortlich (das klingt ja durchaus irisch).

Dunkley war ein Gegner der weit verbreiteten Praxis, den autochthonen Sangiovese mit Cabernet Sauvignon zu verschneiden, auch wenn es die DOCG-Regeln in bestimmten Grenzen zuließen, oder ihn reinsortig auszubauen und als IGT abzufüllen. Die Rebsorte des Chianti ist der Sangiovese – basta. Allein dafür muss man ihn wertschätzen. Und für seinen Spruch: Wenn Rothschild anfängt, Sangiovese anzubauen, dann werde ich auf Cabernet Sauvignon umsteigen!

Und nach dem ersten Schluck dachte ich: Wenn man mir mehr solcher Weine zeigt, dann wird das bestimmt etwas mit mir und den italienischen Weinen. Der macht wirklich Spaß, der ist dicht, komplex; feinsamtiges Tannin und eine nicht zu kräftige Säure geben ihm sein Gerüst. Kirsch- und Himbeeeraromen, geröstete Haselnuss, ein Hauch Wintertrüffel werden abgerundet von einer dezenten Eichenholzwürze.

Nachdem der erste Schluck in langem Abgang durch meine Kehle gerollt ist, verstehe ich auch, was Markus mit »burgundisch« gemeint hat, die klare Linie, der fast unmerkbare und doch wichtige Holzeinsatz, ein Hauch Veilchenlakritz. Klassisch burgundisch der konsequente Einsatz von gebrauchtem Holz.

Noch erstrahlt der Riecine in all seiner jugendlichen Kraft, fast ein wenig ungestüm. Sicher wird er in ein paar Jahren noch harmonischer, runder, in sich ruhender sein. Es wird ein Vergnügen sein, ihn auf diesem Weg zur Altersschönheit regelmäßig zu verkosten.

Und er ist beileibe kein Abklatsch der Weine der Côte d’Or, er hat seinen eigenen Charakter, eine gewisse italienische Leichtigkeit, italienische Eleganz, mehr Prada als Louboutin (die Damen wissen gleich, was ich meine).

Abschließend zitierte ich die große Jancis Robinson zu diesem Wein: »Has the wow-factor.« Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

*) Und für alle die den Spruch von Sir Anthony Barton nicht kennen: »Eine Magnum-Flasche? Genau die richtige Größe für einen schönen Abend. Vorausgesetzt, man beginnt mit einem Champagner, man endet das Menu mit einem Sauternes, und man ist allein daheim …«

Neueste Beiträge

Winzernews 2023

Winzernews 2023

Wie passt dieser Jahrgang 2023 qualitativ in die Zeit und in den Markt? Das ist der Versuch einer ersten provisorischen Einordnung nach...

Burgund 2021 und 2022

Burgund 2021 und 2022

Je häufiger ich das Burgund in den letzten Jahren bereise, desto mehr reift in mir die Gewissheit, dass die Region an einem historischen...

Wein-Schlaraffeninsel Sizilien

Wein-Schlaraffeninsel Sizilien

Durch den enormen Drive hin zu mehr Qualität hat sich Sizilien in diesem Jahrhundert zu einer der spannendsten Weinregionen Italiens...