Auf Weine aus der Sangiovese sollte man ob ihrer so ungeheuer schönen Indivi­duali­tät und Typizität nicht verzichten.

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Im Überblick

Weinregion Toskana

Eine ganze (68er-)Generation deutscher Lehrer erzählt mit verträumtem Blick und verdrehten Augen von der puren Romantik und dem unvergleichlichen Erlebnis der Lebensstimmung Toscana: Diese Landschaft … Diese ursprüngliche Natur … Helfen bei der Lese … Diese Städte …!! Auch Politiker aller Parteien, vor Jahren zusammengefasst zur Toscana-Fraktion, waren ganz vorne am Start.

Weinberge von Antinori - Le Mortelle
Weinberge von Antinori - Le Mortelle

An vielen kitschig übertriebenen Sicht­weisen ist aber durchaus etwas dran: Die Städte Florenz, Sienna, Luca, Monte­pulciano etc. sind wunder­schön.

Die fast schon legendäre Zypressen-Land­schaft ist wirklich ein Traum.

Mit der Vespa die Chianti-Strada abzu­fahren, ist ein unver­gleichliches Erlebnis. Aber es ist auch ein »Reiche-Leute-Land«. Der Großteil der Weingüter wurde mit Geldern der Textil- und Großindustrie (auch diese Seelen brauchen Le­bens­sinn und Romantik) aufge­peppt oder gegründet. Und jeder hatte einen »Super Tuscan« genan­nten, extrem teuren Tafelwein, so wie es der Graf Antinori mit dem Tignanello vor­gemacht hatte. Meines Erachtens ist diese Menta­lität, im Gegensatz zum bäuerlichen Piemont, die Ursache, dass es zwar oft sehr seidig elegante, sogar extrem schöne Weine mit charmanter Frucht für das perfekte Candle-Light-Dinner gibt, die echte Weltklasse kommt aber nur bei ganz großen Jahren des Brunello di Montalcino heraus (Sehen wir von vereinzelten Ausnahmen, den wirklich gelungenen Super Tuscans wie Flaccianello, Cepparello, ontalloro und Redigaffi einmal ab). Selbst ein großer Brunello hat scheinbar noch Steigerungsmöglichkeiten, denn mancher Winzer nimmt seinen auf Brunello-Land gewachsenen jüngeren Zweitwein, den Rosso di Montalcino, im großen Jahr gern mal als Mengen­vermehrer in den Brunello: »Das Jahr war so gut, wir haben dieses Jahr keinen Rosso«. Egal, wir sollten uns an den Ausnahmejahren und den qualitativen Ausnahme­winzern er­freuen, die der vielleicht noch zu mehr fähigen Rebsorte Sangiovese verdammt guten Wein abringen. Samt und Seide, immer elegant und verspielt, sehr warm­herzig und charmant, fast wieder­belebend zum Träumen anregend, immer heimat­stiftend lecker und nie zu aufdringlich oder gar erschlagend und überdominant. Die Sangio­vese-Weine sind positiv assoziiert, ein wenig wie eine noch femi­ninere Aus­gabe der spanischen Tempranillo, im wirklich ganz positiven Sinne Frauenwein, milder Rubens, durchaus mit ero­tischem und verführerischem Kern. Von rudimen­tären Individualitäten absehend gibt es vier Gebiets- und Charakter- oder Typizitäts­schwer­punkte der Rebsorte Sangiovese, der manchmal mit kleineren und höheren Dosierungen Cabernet oder Merlot nach­geholfen wird, was meines Erachtens nach eher überflüssig ist.

Weinregion Toscana bei blauem Himmel

Brunello di Montalcino

Die qualitative Spitze ist immer noch und immer wieder das Gebiet von Montalcino. Der Brunello genannte Spitzenwein (leider nicht so sehr preis­wert) besticht mit der größten Reinheit der Frucht, das Terroir der Region fördert ohne zu viele Extrem­mineralien die puristische Kirschfrucht und den burgundisch feinen Charakter.

Das ist Sangio­vese ›at it’s best‹.

Maximal 10 bis 15 Erzeuger bilden die saubere, qualitative Oberklasse. In Montepulciano kommt der Vino Nobile diesem Ideal durchaus näher, nicht ganz so pur und rein, aber immer tief und satt fruchtig, direkter in der Frucht als Chianti, auch dichter und mineralischer und sehr kraftvoll. Poliziano ist heute sicher der Primus inter Pares. Chianti – Was für ein Sound! Archetyp der Toscana-Romantiker, von der 2-Liter-Bastflasche zum Edeltropfen der Toscana­fraktion. Was für eine Karriere! Es gibt viele Unter­gebiete, aber qualitativ zählt im Grunde nur das Chianti-Classico-Gebiet. Früher immer aus Sangio­vese und etwas Cannaiolo, sogar aus weißer Trebbiano (so war das Statut), heute fast immer reinsortig aus Sangio­vese, manchmal mit einem Hauch Cabernet. Die Vielfalt der Typizi­täten ist im Chianti klar höher als im Brunello oder Vino Nobile, die Weine reichen von kraftvoll, erdig, würzig und fruchtstark (Fèlsina) bis zu charmant, seidig, samtig (Fonterutoli), minera­lisch druckvoll und warmblütig (Fontodi) bis zu puristisch kirsch- und rotfruchtig (Isole e Olena). Ein leichter Bittermandelton ist fast immer dabei.

Wein und Rosenranke in der Toskana

Chianti sagt: versteh mich!

Chianti ist eher nicht so warm­blütig, ero­tisch und heimat-stiftend wie Brunello, er ist eher intellektuell und will verstanden werden. Auch oder gerade im Chianti fand das Mailänder Geld eine neue Heimat, viele renom­mierte Weingüter sehen ihre Besitzer nur zu repräsentativen Anlässen. Boden­ständiger in diesem Spiel, weniger Show und dem Land verhafteter (die Besitzer wohnen wie bei Fèlsina ganz oder sonst doch teilweise auf ihrem Weingut, das ist doch schon mal was!) sind die seit über fünfzehn Jahren an der quali­tativen Spitze stehen­den drei großen »F«, jedem bekannt als Fèlsina, Fontodi und Fonterutoli. Das romantische Zwei-Dörfer-Weingut des begnadeten Winzers und Überzeugungs­täters Paolo de Marchi, Isole e Olena, vervoll­ständigt dieses Top-Quartett.

Weinregion Toskana aus der Vogelperspektive

In der Toskana spielt man Monopoly

Das südlichste und zugleich neueste der qualitativen Top­gebiete der Toscana ist die Maremma. Ein wahres Eldorado mit spannender Südlage, nicht mehr weit bis Rom! (Auch hier muss Seelenheil mit Geld erkauft werden.) Hier begann der Cousin des o.g. Grafen von Antinori, der Graf Incisa della Rocchetta, erst vor einigen Jahr­zehnten (60er) mit der Bepflanzung des küstennahen Hügel­landes. Cabernet Sauvignon sollte es sein, denn der Graf hatte französische Verwandtschaft und liebte Bordeaux. Befreundete 1er-Crus aus Pauillac lieferten ihm ihre Klone zur Bepflanzung und zum Propfen. Der Wein, Sassicaia, legte einen weiteren Grundstein für das hiesige Monopoly-Spiel. Inzwischen hat alles, was Rang und Namen (und viel, viel Geld) hat, hier Land gekauft, jeder will große Weine und großes Geld machen. Andere span­nende Weine gibt es hier aber durchaus nicht wenig. Von Due Mani bis Le Pupille, von Tua Rita bis Ampeleia geht die Auf­zählung der neuen Stars. Gekrönt wohl von Andrea Franchettis Trinoro. Letzt­lich bleibt man bei der Gesamt­betrachtung der Toscana aber ambivalent. Auf Weine aus der Sangiovese und neuerdings auch Cabernet Franc sollte man ob ihrer so ungeheuer schönen Indivi­duali­tät und Typizität nicht verzichten. Aber man muss genau die guten Weine herauspicken, um ohne Reue und zu fairen Preisen die warm­blütigen, erotischen oder intellek­tuellen Traumweine im Glas zu haben!

Toskana Wein Karte
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